Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Dockum Building, eine Tanzschule eröffnet, aber sie lief wohl nicht gut.«
Sie sah ihn scharf an. Im Gegensatz zu Howard neigte Earle nicht dazu, andere auf den Arm zu nehmen, aber sie konnte einfach nicht glauben, was er da sagte. Wie war es möglich, dass sie nichts davon gehört hatte? Ihr war klar, dass Wichita jetzt eine richtige Großstadt war und dass Krieg war und die Leute andere Gesprächsthemen hatten als einen Filmstar, einen ehemaligen Filmstar, der in die Stadt zurückgekehrt war. Aber bestimmt hätte sie trotzdem davon erfahren. Allerdings hielt sie das Haus der Güte ganz schön auf Trab. Und Viola Hammond, die sie früher immer über alles, was in der Stadt los war, auf dem Laufenden gehalten hatte, war bei Kriegsbeginn an Krebs erkrankt. Cora besuchte sie mindestens einmal in der Woche, aber Viola war oft müde und hatte ihre Leidenschaft für Klatsch eingebüßt.
Earle streckte seinen Arm, in dem das Blut anscheinend wieder zu zirkulieren begann. »Irre, was? Louise Brooks – Tanzlehrerin in Wichita. Ich glaube, sie und ihr Partner sind auch bei Veranstaltungen aufgetreten, mit Tango und Walzer und so. Einer meiner alten Freunde hat mir erzählt, dass er sie für eine Party der Jungen Republikaner gebucht hat.«
Cora versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie bestürzt sie war. Sie wollte keine Vorurteile weitergeben, auch nicht an ihren eigenen Sohn. Nichts war falsch daran, dass Louise Tanzen unterrichtete, sich mit ehrlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt verdiente. Aber ein Treffen der Jungen Republikaner? In Wichita? Schwer vorstellbar, dass Louise so tief gesunken war.
»Und was macht sie jetzt?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Sich selbst lächerlich, wenn man dem Gerede glauben darf. Einer meiner Kumpel kennt den Burschen, mit dem sie das Tanzstudio eröffnet hat. Er ist noch ein Junge, ein Collegestudent, der gut tanzen kann. Ich schätze, es ging zuerst mit den beiden schief, bevor das Studio einging.«
»Inwiefern macht sich Louise lächerlich?«
»Durch ihr Benehmen. Schon auf der Schule hat man sich erzählt, dass sie scharf rangeht, aber …«
»Aber was?«
»Nichts.«
Cora verschränkte die Arme. Er gab gut acht, nichts zu sagen, was ihre mütterlichen Ohren verletzen könnte. Trotz ihrer Arbeit für das Haus der Güte schienen ihre beiden Söhne sie gelegentlich mit Königin Victoria zu verwechseln.
»Los, Earle, sag’s mir.«
»Na schön. Sie … hat sich ihm, milde ausgedrückt, an den Hals geworfen. Diesem Jungen vom College. Und konnte es nicht fassen, als er ihr einen Korb gab. Vielleicht stimmt es nicht, aber mein Freund sagt, dass von ihrem Aussehen nicht viel übrig ist. Sie trinkt, und man sieht es ihr an. Er sagt, dass sie wegen Trunkenheit eingesperrt worden ist.« Er schnitt eine Grimasse. »Und wegen Unzucht.«
Cora sah zu den Stufen vor der Eingangstür, wo Joseph ein Paar schmutzige Schuhe stehen gelassen hatte. Noch jetzt könnten sie dafür, dass sie in diesem Haus in Sünde lebten, verhaftet werden. Louise war lediglich offener vorgegangen und hatte sich nicht die Mühe gemacht, etwas zu verbergen oder andere zu täuschen.
»Ist sie noch mit ihm zusammen?«
»Mit wem?«
»Mit dem Mann, mit dem sie zusammengelebt hat?«
Earle schaute sie an, als wäre sie ein hoffnungsloser Fall. »Das halte ich für wenig wahrscheinlich, Mutter. Es hat sich nicht angehört, als ob es eine große Romanze war. So wie sie lebt, steht Heirat wohl nicht zur Debatte.«
»Wo wohnt sie jetzt?«
»Bei ihren Eltern. Sie hat kein Geld.« Er sah sie forschend an. »Jetzt siehst du entsetzt aus. Ich hätte gedacht, dass dich eher ihr Verhalten aus der Fassung bringen würde.«
Cora runzelte die Stirn. Es fiel ihr schwer, sich Louise und Myra friedlich vereint unter einem Dach vorzustellen, insbesondere angesichts ihrer elenden Situation. Vielleicht bestand ja die Möglichkeit, dass Myra über sich hinauswuchs und Mitgefühl und Verständnis für ihre Tochter aufbrachte. Aber so wie Cora es sah, hatte Myra Louise nie als Tochter oder überhaupt als eigenständige Person geliebt. Falls sie Louise je geliebt hatte, dann nur als Teil ihrer selbst, als willenloses Anhängsel, dazu erschaffen, an ihrer Stelle ein letztes Mal nach den Sternen zu greifen. Und jetzt war Louise genauso dramatisch gescheitert wie Myra selbst.
Earle stupste sie liebevoll an. »Ich finde nicht, dass du sie bedauern musst. Soweit ich weiß, geht es ihr nicht so schlecht. Sie arbeitet nicht. Mein
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