Das Schmetterlingsmädchen - Roman
kann sie es sich nicht verkneifen, mich darauf aufmerksam zu machen, was für eine schreckliche Tochter ich bin und dass ich besser für die arme, arme Myra sorgen sollte.« Sie drehte sich wieder zu Cora um. »Aber die arme Myra will nicht von mir betreut werden. Sie will mich in meinem momentanen, enttäuschenden Zustand nicht sehen.«
Cora seufzte. Das traf wahrscheinlich zu. »Hat sie dir das gesagt?«, fragte sie.
»Auf ihre Weise. Wussten Sie, dass Mutter einmal die größte Sammlung über Louise Brooks besessen hat?« Sie machte eine Pause, um Cora ein Lächeln zuzuwerfen, das ebenso breit wie falsch war. »Viele Leute haben mir geschrieben, dass sie meine größten Fans sind, aber ich wusste, dass mein größter Fan hier in Wichita sitzt. Mutter hat jeden Brief aufbewahrt, den ich geschrieben habe, jedes Magazin, in dem ich abgebildet war, jedes Filmplakat, auf dem ich geprangt habe. Aber das war 1927.« Sie runzelte die Stirn, und die dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber wie es scheint, ist sie nur ein Fan für gute Zeiten. Als ich nach Hause kam, hat sie jeden Brief, jedes Foto in zwei Pappkartons gepackt und mich gefragt: ›Willst du das haben, Louise? Oder soll ich das Zeug wegwerfen?‹«
»Das tut mir leid«, sagte Cora.
Louise zuckte die Achseln.
»Wie geht es deinem Vater?« Es war die einzige hoffnungsvolle Frage, die Cora einfiel.
»Hm.« Louise legte den Kopf zur Seite. »Tja, ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, dass ich hier oben bin. Aber er ist ein viel beschäftigter Mann, und ich bin ja erst seit zwei Jahren hier.«
»Warum bist du hier?«, fragte Cora leise. Sie wollte nicht aufdringlich sein. Sie konnte es wirklich nicht verstehen. Louise lag nichts an ihrer Mutter, und Myra schien jetzt, da Louise kaum noch etwas zu bieten hatte, nichts an ihrer Tochter zu liegen. Und Leonard Brooks war sicherlich nicht der Grund.
»Weil ich pleite bin.« Sie sagte es, als wäre der Gedanke ausgesprochen komisch. »Nur zu, erzählen Sie es Ihren tratschsüchtigen Freundinnen! Machen Sie es allgemein bekannt! Ich habe nichts! Null! Ich dachte, ich wäre pleite, als ich Kalifornien verließ.« Sie starrte an die schräge Zimmerwand. »Aber damals hatte ich noch ein bisschen Kleingeld zum Klimpern. Jetzt habe ich nicht mal mehr das.«
»Wie ist das möglich?«, wollte Cora wissen und zog ihre Knie seitlich an. »Bekommst du keine Unterhaltszahlungen?«
»Ich habe nicht darum gebeten. Ich wollte beide Male einfach nur raus. Und ich dachte, ich würde weiterhin gut verdienen.« Sie hob ihre Hände. »Aus mir hätte eine fantastische Prostituierte werden können. Aber ich habe eben nie auf lange Sicht geplant.«
Cora wand sich innerlich. »Warum arbeitest du nicht mehr als Filmschauspielerin?«
Sie antwortete nicht gleich. Stattdessen sah sie Cora forschend an, als wäre sie eine streunende Katze, die überlegte, ob sie näher kommen oder lieber weglaufen sollte. Schließlich zuckte sie die Achseln. »Hollywood ist mir auf die Nerven gegangen. Dort wird nicht mal gelesen. Dort wird nur geschaut.« Die senkrechten Falten zwischen ihren Augen verstärkten sich. »Sie kennen nur, was sie sehen, und sie sehen dich und denken, sie kennen dich, und irgendwann denkst du das auch. Das Äußere wird nach innen gekehrt. Das ist so sinnlos.«
Cora nickte, als würde sie verstehen, was Louise sagte. Aber die Geschichte passte nicht zu dem, was sie wusste. Schließlich hatte Louise Hollywood nicht in ihrer Blütezeit, mit unangetasteter Würde, den Rücken gekehrt. Ihr Abgang war von Verzweiflung überschattet. Sie hatte sich dazu herabgelassen, erst in dem einen schwachsinnigen Western und dann im nächsten mitzuspielen. Cora hatte gehört, dass sie noch in einem letzten Film aufgetreten war, aber jede Szene mit ihr war herausgeschnitten worden. Vielleicht glaubte sie, freiwillig gegangen zu sein, aber es schien wahrscheinlicher, dass sie geschubst worden war. Warum? Myra hatte gesagt, dass sie nicht gut mit anderen auskam, dass sie alles hinschmiss. Vielleicht hatte sie schon damals getrunken. Aber vielleicht hatte das Trinken nichts mit ihrem Untergang zu tun. Vielleicht war sie zuerst abgestürzt und hatte dann zu trinken angefangen. Es war schwer zu sagen, was sie in dieses trübselige kleine Zimmer zurückgebracht hatte. Vielleicht ließen sich all der Zorn und der Schmerz auf Cherryvale und Mr. Flowers zurückführen. Aber es schien wahrscheinlich, dass die Schwermut ihr schon lange zuvor
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