Das Schmetterlingsmädchen - Roman
wette, du fühlst dich gleich besser, wenn du die Tür aufmachst.«
Nichts.
»Ich werde nicht gehen. Ich habe nichts anderes vor. Ich bleibe so lange hier, wie es dauert, und werde reden und reden und …«
Die Tür am Ende des Flures ging auf. Louise erschien mit vor der Brust verschränkten Armen. Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Schlabberhose. Cora versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte Katharine Hepburn in einer Schlabberhose gesehen, aber noch nie eine Frau im wirklichen Leben.
»Sie haben recht.« Ihre Stimme war tiefer und ihre Sprechweise langsamer, als Cora sie in Erinnerung hatte. »Die Schuhe sind wirklich scheußlich.«
Cora verstand nicht, was Earles Freund gemeint hatte, als er sagte, dass Louise ihr gutes Aussehen verloren hatte. Auch wenn sie wie Katharine Hepburn gekleidet war, sah sie mit ihren dunklen Augen und der hellen Haut immer noch umwerfend aus. Ihr Haar, genauso schwarz wie ihr Pullover, reichte fast bis auf ihre Schultern, und sie trug wieder einen Pony.
»Willst du mich nicht hereinbitten?«
»Was wollen Sie?«
»Ich … ich wollte sehen, wie es dir geht.« Cora öffnete ihre Handtasche und nahm eine in Papier gewickelte Schachtel heraus. »Ich habe dir Pralinen mitgebracht. Ich kann mich erinnern, dass du immer gern genascht hast.« Sie hielt die Schachtel Louise hin, die sie skeptisch musterte. Cora fing an, ihren Besuch zu bereuen. Vielleicht war Louise glücklich und zufrieden damit, im Haus ihrer Kindheit zu wohnen, abends auszugehen und verhaftet zu werden. Wer konnte schon sagen, ob ihr dieses Leben nicht gefiel? Wenn sie lieber in Hollywood geblieben wäre, bei ihrem Ehemann, dem Regisseur, und ihrem Swimmingpool und ihren Pelzmänteln, hätte sie es wahrscheinlich getan. Soweit Cora sich erinnerte, machte Louise immer das, was ihr gefiel.
Sie nahm die Schachtel Pralinen, ohne sich zu bedanken, und klemmte sie unter einen Arm. »Wie geht es mit dem Deutschen, Cora?«
Cora schluckte. Auch in dem schwachen Licht konnte sie Louises trockenes kleines Lächeln sehen. Sie war die Erste gewesen, die sie vor all den Jahren belogen hatten, als sie in Panik und noch ungeübt waren, und Cora war sich nicht sicher gewesen, ob Louise wirklich geglaubt hatte, dass Joseph ihr Bruder war. Damals hatte Louise auf die Geschichte nur mit leiser Enttäuschung reagiert, die bald Desinteresse wich. Aber die Art, wie sie Cora jetzt ansah, legte nahe, dass sie die ganze Zeit Bescheid gewusst hatte.
»Mein Bruder? Es geht ihm gut, danke.«
Louise verdrehte die Augen. »Ich meine die Sprache. Ich habe mich gefragt, ob Ihnen der Begriff Schadenfreude etwas sagt. Vergnügen am Unglück anderer. In unserer Sprache gibt es kein entsprechendes Wort, und das ist ein Manko, finde ich. Vor allem hier im schönen Wichita.«
Cora schüttelte den Kopf. Es war schwer, nicht verletzt zu sein. Sie hatte gehofft, Louise würde sie besser kennen. »Ich bin nicht hier, um zu triumphieren«, sagte sie. »Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Und ich werde mit niemandem über diesen Besuch sprechen.«
»Wenn Sie’s täten, wäre es mir egal.« Sie warf Cora einen angespannten Blick zu, der ihren Worten widersprach.
»Ich werde es jedenfalls nicht erwähnen.« Jetzt sah Cora an die Decke. Sie wollte sich hinsetzen. »Hör zu, ich bitte dich um eine Viertelstunde. Tut mir leid, dass ich dich so überfalle. Aber wenn du mir eine Viertelstunde deiner Zeit schenkst, werde ich dich nicht mehr belästigen, Ehrenwort.«
Sie starrte Cora an. Es war unmöglich zu erraten, was sie dachte. Als Louise noch berühmt war und in Filmen mitspielte, hatte Cora einmal in einer Kritik gelesen, dass sie als Schauspielerin unbegabt sei. Der Kritiker gestand ihr zu, möglicherweise die schönste Frau zu sein, die man jemals auf der Leinwand gesehen hatte, fand aber, dass ihre Schönheit ihr einziger Vorzug sei. Die Leute wären so hingerissen von ihren dunklen Augen und dem perfekten Ebenmaß ihrer Züge, dass ihnen entging, wie ausdruckslos ihr Gesicht war, und dass wirklich nicht zu erraten war, welche Gefühle – wenn überhaupt welche vorhanden waren – sich hinter diesen Augen verbargen. Der Kritiker war der Meinung, dass ohne die Zwischentitel, auf denen zu lesen war, was sie angeblich dachte, niemand wüsste, wie ihr seelenvoller Blick zu interpretieren war. Er war in der Minderheit; die meisten Kritiker hielten sie für eine subtile Schauspielerin,
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