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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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einer Seite deutlich höher als auf der anderen war, einem Schiff mit Schlagseite.
    Cora wollte gerade die Stufen zum Eingang hinaufgehen, als sie hörte, wie eine freundliche Stimme ihren Namen rief. Sie sah zu der eingesunkenen Seite der schattigen Veranda und entdeckte auf einem pfauenblau bezogenen Sofa Zana Henderson, mollig und hübsch in Rock und Strickjacke. Neben ihr saß Myra, die neben Zana schmächtig wie ein Kind wirkte. Sie trug mitten am Nachmittag einen geblümten Morgenmantel, und ihr dunkles Haar war dünn geworden und hing auf ihre Schultern. Cora begrüßte die beiden. Nur Zana lächelte.
    »Was verschafft uns dieses Vergnügen?«, fragte Zana. »Wollen Sie an unserer kleinen Party teilnehmen?« Sie zeigte auf den Tisch vor dem Sofa, auf dem ein Kuchen, eine Schüssel Schlagsahne mit einem Servierlöffel und zwei Teller nebst Kuchengabeln standen. »Es ist so ein traumhafter Herbsttag«, fuhr Zana fort, »dass ich fand, wir könnten ihn am besten genießen, indem wir unser Dessert auf Myras Veranda essen.« Sie machte eine weit ausholende Handbewegung. »Wir haben sogar das Sofa herausgeschleppt, um es bequem zu haben.«
    »Du hast es geschleppt«, bemerkte Myra mürrisch. Ihre Stimme war belegt und schwach. »Ich war überhaupt keine Hilfe.«
    »Na ja, du hast mich dazu inspiriert. Und mir zugetraut, dass ich es nicht beschädige.«
    Cora lächelte höflich. Was für eine gute Freundin Zana doch war. Nicht nur dass sie Myra verteidigt hatte, als es niemand sonst tat. Sie war auch jetzt, da Myra zurückgekehrt war und ihre vernachlässigten Kinder erwachsen und aus dem Haus waren, immer noch da, um sie aufzuheitern. Cora verblüffte es, wie jemand wie Myra es geschafft hatte, eine solche Freundin zu finden und zu behalten.
    »Möchten Sie ein Stück?« Zana sah Cora an und zeigte auf den Kuchen. »Es ist reichlich da, und Sie würden verhindern, dass ich den Rest allein aufesse.«
    »Nein, danke«, sagte Cora. »Eigentlich hatte ich gehofft, Louise zu sehen.«
    Jetzt wirkte Zana verblüfft. Sie zog die Augenbrauen hoch und sah Myra an, die ihr einen vielsagenden Blick zuwarf.
    »Hm.« Zanas Missbilligung war nicht zu übersehen. »Na, dann viel Glück.«
    Myra fing an zu husten und rang mühsam nach Atem. Sie schloss die Augen und hielt eine Hand vor ihren Mund, während es ihren schmächtigen Körper so sehr schüttelte, dass es ihre Füße vom Boden hob. Es war schrecklich mit anzusehen, wie sie sich anstrengte.
    »Ich hole dir einen Schluck Wasser«, sagte Zana und stand auf.
    »Das kann ich doch machen.« Cora eilte schon zur Tür.
    »Nicht«, keuchte Myra. »Es hilft sowieso nicht.« Sie warf Cora einen unerklärlich hasserfüllten Blick zu, als sie sich an die Tischplatte klammerte. »Es geht schon wieder.« Sie musste erneut husten. »Gehen Sie ruhig rein. Zweiter Stock. Keine Ahnung, welches Zimmer. Klopfen Sie einfach an.«
    Der Flur im zweiten Stock war fensterlos und dunkel und wurde nur von einer kleinen Wandlampe beleuchtet, von deren drei Glühbirnen nur noch eine brannte. Cora, die nach den vielen Stufen ein wenig außer Atem war, lehnte sich an die holzvertäfelte Wand. Kein Wunder, dass Myra nicht hierherkam. Der Weg nach oben würde sie umbringen.
    »Louise?« Sie stand mitten im Flur. Es gab drei Türen, alle geschlossen. »Louise?«
    Sie hörte Schritte, das Klirren von Glas. Dann nichts mehr.
    »Ich bin’s, Cora Carlisle. Deine ehemalige Anstandsdame. Ich wollte nur kurz Hallo sagen.«
    Stille. Cora lehnte sich wieder an die Wand. Vielleicht war es dumm gewesen, hierherzukommen. Im Grunde hatten Louise und sie nichts miteinander zu tun, waren nicht verwandt. Es gab nur diesen einen Sommer, und schon damals hatte Louise nie Zuneigung geheuchelt. Trotzdem hatte sie viel für Cora getan, ohne es zu wollen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.
    »Ich denke, du kannst mich hören. Und ich bin mir sicher, ich kann dir kein schlechtes Gewissen machen, weil du eine sechsundfünfzigjährige Frau abwimmelst, die gerade zwei Stockwerke hinaufgegangen ist, um dich zu sehen.«
    Sie starrte auf ihre Schuhe und lauschte.
    »Wenn du meine Schuhe sehen könntest, würdest du sie verabscheuen. Sie sind sehr bequem, aber sie sind vorne an den Zehen breit und haben praktisch keine Absätze. Soweit ich mich erinnere, hast du schon vor zwanzig Jahren nicht viel von meinem Stil gehalten. Du solltest mich jetzt sehen. Meine Schuhe ernten sogar von Frauen in meinem Alter komische Blicke. Ich

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