Das Schneemädchen (German Edition)
brachte.
«Ich war heute am Fluss.»
Er hob den Kopf nicht. Sie wartete darauf, dass er fragte, warum sie so etwas getan habe. Vielleicht könnte sie es ihm dann sagen.
Jack stach in seine Möhren, dann schaufelte er die Bohnen mit einem Stück Brot auf die Gabel. Er gab nicht zu erkennen, ob er sie gehört hatte.
«Er ist bis zu den Klippen zugefroren», sagte sie fast flüsternd. Mit gesenktem Blick und flachem Atem wartete sie, aber es folgte nichts als Jacks Kauen und seine Gabel auf dem Teller.
Mabel hob den Blick und sah seine vom Wind geröteten Hände und die ausgefransten Manschetten, die Krähenfüße, die sich an den Winkeln seiner gesenkten Augen ausbreiteten. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal seine Haut berührt hatte, und dieser Gedanke schmerzte in ihrer Brust wie Einsamkeit. Dann entdeckte sie ein paar silberne Strähnen in seinem rotbraunen Bart. Wann waren die aufgetaucht? Also ergraute auch er allmählich. Beide vergingen sie, ohne dass der andere es wahrnahm.
Mabel schob ihr Essen mit der Gabel hin und her. Sie blickte auf die Lampe, die von der Decke hing und Lichtfragmente verströmte. Sie weinte. Einen Augenblick saß sie da und ließ die Tränen bis zu den Mundwinkeln herablaufen. Jack aß weiter, den Kopf gesenkt. Sie stand auf und trug ihren Teller mit dem Essen zu der kleinen Küchenanrichte. Abgewandt wischte sie sich mit ihrer Schürze über das Gesicht.
«Das Eis ist noch nicht fest», sagte Jack am Tisch. «Bleib da lieber weg.»
Mabel schluckte, räusperte sich.
«Ja. Natürlich», sagte sie.
Sie machte sich an der Anrichte zu schaffen, bis ihre Augen wieder trocken waren, dann kehrte sie an den Tisch zurück und löffelte noch Möhren auf Jacks Teller.
«Wie geht’s mit dem neuen Feld voran?», fragte sie.
«Es macht sich.» Er schob sich mit der Gabel ein Kartoffelstück in den Mund, wischte ihn gleich mit dem Handrücken ab. «Die nächsten Tage kriege ich die restlichen Bäume gefällt und weggeschleppt. Danach brenne ich die Stümpfe ab.»
«Soll ich mitkommen und dir helfen? Ich könnte mich um die Stumpffeuer kümmern.»
«Nein. Ich komme schon zurecht.»
An diesem Abend im Bett war sie sich Jacks Anwesenheit besonders bewusst, des Geruchs nach Stroh und Fichtenästen in seinen Haaren und seinem Bart, seines Gewichts auf dem knarzenden Bett, des Geräuschs seiner langsamen, müden Atemzüge. Er lag von ihr abgewandt auf der Seite. Sie streckte die Hand aus, wollte seine Schulter berühren, ließ dann aber den Arm sinken und blickte im Dunkeln auf seinen Rücken.
«Meinst du, wir kommen durch den Winter?», fragte sie.
Er antwortete nicht. Vielleicht war er eingeschlafen. Sie drehte sich um und wandte das Gesicht zur Bohlenwand.
Als er sprach, fragte sich Mabel, ob seine Stimme vor Erschöpfung oder zu viel Gefühl rau klang. «Was bleibt uns anderes übrig?»
Kapitel 2
Als Jack hinaustrat, um das Pferd anzuschirren, war der Morgen so kalt, dass seine Lederstiefel steif blieben und die Hände ihm nicht recht gehorchen wollten. Der Nordwind blies unablässig vom Fluss herauf. Jack wäre lieber im Haus geblieben, doch er hatte Mabels in Handtücher eingeschlagene Kuchen schon in eine Kiste gepackt, um sie in die Stadt zu bringen. Er schlug sich auf die Arme und stampfte mit den Füßen, um den Blutfluss in Gang zu bringen. Es war verdammt kalt, und selbst die lange Unterhose mit dem Drillichstoff darüber fühlte sich an wie ein dürftiges Baumwolltuch um die Beine. Es war ihm nicht leichtgefallen, die Behaglichkeit des Holzofens zurückzulassen und sich dem hier allein auszusetzen. Die Sonne versprach, auf der anderen Seite des Flusses aufzugehen, doch ihr Licht war schwach und silbrig und spendete kaum Trost.
Jack stieg in den offenen Wagen und schüttelte die Zügel. Ohne über die Schulter zurückzublicken, spürte er, wie das Blockhaus hinter ihm zwischen den Fichten verschwand.
Als der Weg über ein offenes Feld führte, schien das Pferd über seine eigenen Hufe zu stolpern, dann warf es den Kopf zurück. Jack brachte den Wagen zum Stehen und ließ den Blick über das Feld und die fernen Bäume schweifen, sah aber nichts.
Dieses vermaledeite Pferd. Er hatte ein braves, sanftes Zugtier gewollt, bedächtig und kräftig. Aber Pferde waren hier oben äußerst rar, und er hatte keine große Auswahl gehabt – eine alte Stute mit Senkrücken, die aussah, als würde sie auf dem letzten Loch pfeifen, und das hier, jung und kaum
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