Das Schneemädchen (German Edition)
alle.»
Die beiden kicherten noch immer, als Garrett zur Tür hereinkam.
«Was denn? Was ist so lustig?», fragte er, aber sein finsterer Blick und die Röte, die ihm in die Wangen stieg, ließen sie nur lauter lachen.
Die Stimmen kamen und gingen in Wellen, sie machten Jack seekrank und nahmen ihm jede Orientierung, sodass er sich lieber in den Sirup aus Laudanum und Schnaps zurücksinken ließ. Hier war es warm und finster, es gab keine Vergangenheit und keine Zukunft und keine Bedeutung. Als er das nächste Mal aufwachte, war es still und dämmrig und sein Kopf trotz der Schmerzen klar. Was war das vorhin für ein Gelächter gewesen? Dann fiel ihm ein, wie er mit Esthers Hilfe nackt in eine Pferdetränke voll mit heißem Wasser gestiegen war. Der Schmerz wollte ein Loch mitten durch seinen Rücken brennen, er strahlte bis in den Brustkorb aus, und Jack schluchzte auf. Sich die Faust zwischen die Zähne zu stopfen half gar nichts, er schluchzte und schluchzte. Selbstmitleid. Reines Selbstmitleid. Nicht rasende Nervenenden und Muskelkrämpfe zerrissen ihn, sondern der Gedanke, dass er allen und sich selbst nur noch eine nutzlose Last war.
«Jack?», flüsterte es an der Tür. «Brauchst du was?»
Er schluckte schwer und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
«Willst du noch was von der Medizin?»
Das war nicht Mabel.
«Esther? Was machst du hier?»
«Schsch! Deine Frau braucht eine Pause. Hier, trink das.» In einem Blechbecher hatte sie Laudanum mit Schnaps verrührt, und er legte den Kopf in den Nacken und kippte die Mischung hinunter. Sie nahm den Becher und trocknete ihm mit einem Schnupftuch Augen und Wangen.
«Das geht vorbei, Jack. Ich weiß, dass es dir im Moment nicht so vorkommt, aber du kannst mir glauben. Garrett und ich sind zum Helfen gekommen, und Mabel kann wesentlich mehr wegstecken, als man vermutet. Es ruht nicht mehr alles auf deinen Schultern. Du hast Hilfe. Verstehst du? Das wird schon wieder.»
Doch Jack war bereits zu jenem tief verborgenen, verschwommenen Ort abgetaucht, an den Geräusche und Schmerzen und Licht nur gedämpft vordrangen und wo niemand seine Verzweiflung in Worte fassen musste, da eine taube Zunge und unbewegliche Lippen nicht zum Sprechen taugen.
Kapitel 24
Esther bestand darauf, dass vor allem sie sich um Jack kümmerte. Langsam reduzierte sie das Laudanum, gleichzeitig dehnte sie seine täglichen Spaziergänge aus. Beim ersten Mal nur bis zum Küchentisch. Dann bis zum Abort, sodass sich der Nachttopf endlich erübrigte.
«Du verlangst ihm zu wenig ab, Mabel. Er muss aufstehen und sich bewegen. Nur so kommen seine Muskeln wieder in Gang.»
«Aber es tut ihm doch so weh!»
«Irgendwann wird es nicht mehr nur ein steifer Rücken sein, sondern ein weitaus tiefer sitzender Schmerz. Verstehst du, was ich sagen will? Dann ist es eine viel entsetzlichere Verletzung, eine, die durch Laudanum und Alkohol nur schlimmer wird. Er muss wieder auf eigenen Füßen stehen. Er muss seine Äcker anschauen und mit uns ein paar Entscheidungen treffen, damit er weiß, dass das Land immer noch seines ist, auch wenn er momentan keine Erde unter den Fingernägeln hat.»
Also brachte Garrett Mabel bei, wie man Saatkartoffeln so in Stücke zerschneidet, dass jedes ein Auge aufweist, und Esther machte derweil mit Jack einen Ausflug entlang der Felder. Jacks langsames Schlurfen ansehen zu müssen, war für Mabel schier unerträglich. In einem einzigen Monat wirkte er um hundert Jahre gealtert. Das Gesicht war hager, der Rücken krumm. Stolperte Jack über eine Wurzel oder eine Wagenspur, so ächzte er und blieb stocksteif mit geschlossenen Augen und schwer mahlenden Kiefern stehen. Es wäre Mabel peinlich gewesen, es zuzugeben, doch sie war froh, dass sie mit Garrett im Hof sitzen und Saatkartoffeln klein schneiden durfte, statt ihren Mann auf seinen qualvollen Spaziergängen begleiten zu müssen.
Und solch üble Gesellschaft war der Junge gar nicht, auch wenn Esther meinte, er müsse erst noch die Erniedrigung verdauen, dass er zusammen mit zwei alten Weibern fremder Leute Land bestellen sollte. «Er bildet sich ein, die Farmarbeit wäre unter seiner Würde, wo er doch ein Trapper werden will. Aber er ist schon in Ordnung. Wenn er will, kann er wirklich gut zupacken.»
Mabel beobachtete Garretts stillen Widerstand. Kommandierte seine Mutter ihn herum, so polterte er durch die Gegend und zog ein grimmiges Gesicht. War Mabel aber mit dem Jungen allein, verhielt er sich
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