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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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nun bärenstark, aber kaum tut ihnen was weh, führen sie sich auf wie die Kinder. Ich sage nur, Kinderkriegen würde sie ein bisschen abhärten.» Dabei blickte sie Mabel gerade in die Augen – ohne Bedauern, ganz ohne Verlegenheit. Es war, als wüsste Esther genau, an welche Erinnerungen sie da rührte, und Mabel verstand die Botschaft: Sie hatte die Geburtswehen durchlitten, auch wenn ihr Kind tot zur Welt gekommen war. Und sie hatte es überlebt, nicht wahr? Es war, als habe sie tief in ihre Tasche gegriffen und dort einen kleinen Stein entdeckt, hart wie ein Diamant, von dem sie ganz vergessen hatte, dass sie ihn besaß.
    «Wo verdammt soll ich mit diesem Krempel hin?»
    Garrett stand in der Tür und starrte sie über einen Stapel von Sachen hinweg böse an.
    «Pass auf dein loses Mundwerk auf. Leg das einfach ab, wo Platz ist. Und dann gehst du und holst den Rest.»
    «Was ist das, Esther?»
    «Vorräte.»
    «Aber wir – hat George dir denn nichts erzählt?»
    «Was, von eurem bekloppten Plan, uns hier sitzenzulassen? Aber sicher hat er mir davon erzählt. Endlich finden wir interessante Freunde, und ihr glaubt, wir lassen euch ziehen, ohne uns zur Wehr zu setzen?»
    «Aber wir gehen fort, wir brauchen das alles nicht.» Mabel senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. «Und ehrlich gesagt, Esther, wir könnten dafür auch nicht bezahlen.»
    Garrett stapfte an ihnen vorbei und deponierte eine weitere Ladung auf dem Tisch. Als er zurückmarschierte, tat Esther, als gäbe sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Trotz allem musste Mabel lächeln.
    «Zerbrich dir den Kopf nicht ums Geld. Alle haben von eurer Notlage gehört und zusammengeschmissen. Ist nichts Großartiges, aber davon könnt ihr ein Weilchen leben.»
    «Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist viel zu viel … viel zu großzügig.»
    «Tja, hier gibt es vielleicht keinen Arzt, dafür aber ein paar treue Seelen.» Esther blinzelte ihr über die Schulter zu, während sie die ersten Kisten und Beutel auspackte.
    «Oh, das war ein schrecklicher Ausrutscher von mir! Ich wollte niemandem zu nahe treten. Ich war nur so verzweifelt.»
    «Geschenkt. Der alte Palmer war viel zu beeindruckt von deinen Reitkünsten, um dir was übelzunehmen. Er meinte, er hätte noch nie eine Dame so kavaliersmäßig galoppieren sehen. Garrett, steck das Bettzeug da drüben hin, hinter den Ofen, sonst ist das im Moment nur im Weg.»
    «Bettzeug?»
    «Habe ich das nicht gesagt? Wir quartieren uns hier ein, der Junge und ich. Wir kommandieren zwar gerne rum und zanken uns, aber willst du meckern, wenn du umsonst Hilfe kriegst?»
    «Hilfe? Ihr wollt mir helfen? Jack zu pflegen?»
    «Jack zu pflegen. Die Äcker zu bestellen. Du hast uns bis zum Ende der Saison am Hals, außer du setzt uns vorher vor die Tür.»
    «Nein, Esther, nein. Das können wir nicht zulassen.»
    «Das könnt ihr nicht zulassen? Schätzchen, du hast keine Ahnung, mit wem du es hier zu tun hast. Wir werden eure Äcker bestellen, Garrett und ich. Du kannst entweder mit anpacken oder aus dem Weg gehen, aber bestellt werden sie.»
    Im selben Moment schrammte Garrett mit einer Pferdetränke durch die Haustür; der Lärm übertönte Esthers Stimme. «Zum Teufel, Ma, wozu in aller Welt schleppen wir eigentlich dieses Ding hierher?»
    «Hör auf zu reden und bring’s lieber ganz rein. Stell’s da drüben hin, an den Ofen.»
    «Glaubst du nicht, dass sie eine eigene Tränke haben?» Sarkastisch deutete er mit den Augen Richtung Stall.
    «Nicht so eine wie diese hier.»
    Der blitzblanke Trog beanspruchte fast die gesamte freie Fläche vor dem Ofen. Mabel nahm erheitert zur Kenntnis, dass ihr Heim sich vor ihren Augen in ein typisches Benson-Haus verwandelte, einschließlich Gezänk und heillosem Durcheinander.
    «Garrett, geh du mal mit Mabel aufs Feld und sieh dir den Pflug an. Schau nach, ob irgendwas daran zu reparieren ist. Nur los, Mabel, ein bisschen frische Luft tut dir gut. Um den Kram hier kümmere ich mich.»
    Der Junge war unterwegs so mürrisch und maulfaul, dass Mabel ihn bald mit dem Pflug allein ließ. Obwohl sich ihr schlechtes Gewissen rührte, wählte sie den längeren Heimweg. Sie atmete tief den Frühlingsduft nach jungem Laub ein und betrachtete lange die scharfe Abgrenzung zwischen dem gleißenden Schnee der Gipfel und dem grünenden Wald. Dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Jack sein Laudanum zu geben.
    «Schon zurück? Du hättest ruhig noch ein bisschen bleiben sollen. Dein

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