Das Schneemädchen (German Edition)
den Pflanzen auf, dann war der Fuchs verschwunden.
«Sind Sie verrückt? Wir hätten ihn erwischen können.» Garrett kippte die Flinte auf, zog die Patrone heraus und stopfte sie zurück in seine Hosentasche. In seinen Augen blitzte Ärger auf, vielleicht sogar Verachtung.
«Sieh mal, ich hätte ja sonst nichts dagegen, nur –»
«Der kommt wieder, das sag ich Ihnen.» Garretts ruppiger Ton erstaunte Jack.
«Wir werden sehen.»
«Verlassen Sie sich drauf. Beim nächsten Mal wühlt er in Ihrem Müllhaufen oder schnüffelt beim Stall rum.» Garrett ging auf dem Weg ums Feld voraus und hielt Ausschau nach den Fuchsspuren, sagte aber nichts. Erst als sie beinahe beim Haus waren, meldete er sich wieder zu Wort. «Wozu soll das gut sein, ihn davonkommen zu lassen?»
«Ich kenne den hier, lass dir das genügen. Er hat jemandem gehört.» Die Worte fielen Jack schwer.
«Er hat jemandem gehört? Der Fuchs?» Sie waren schon fast am Stall angelangt. Jack hätte das Gespräch gern beendet und Garrett im Bett gewusst, doch der Junge blieb bei der Tür stehen.
«Wem hat er gehört?»
«Kennst du nicht.»
«Meilenweit gibt es hier niemanden außer uns …» Garrett verstummte und wandte sich dem Stall zu, doch dann drehte er sich noch einmal um. «Moment mal. Doch nicht etwa dem Mädchen? Von dem meine Eltern erzählt haben? Dem Mädchen, von dem Mabel sagt, dass es letzten Winter hier war?»
«Doch. Das war ihr Fuchs, und ich will nicht, dass den jemand schießt.»
Garrett schüttelte den Kopf und schnaubte.
«Hast du damit ein Problem?»
«Nein. Nein, Sir.» Es war lange her, dass er zu Jack «Sir» gesagt hatte.
Jack ging auf das Haus zu.
«Also … Das Mädchen hat es aber nicht wirklich gegeben, oder?»
Beinahe wäre Jack weitergegangen. Diese Unterhaltung war nicht nach seinem Geschmack. Er war müde. Sein Abend war unerfreulich verlaufen, und er wünschte, er wäre zu Haus am warmen Ofen geblieben. Aber dann wandte er sich zu Garrett um.
«Doch. Das Mädchen hat es gegeben. Es hat den Fuchs von klein auf großgezogen. Er lässt sich immer noch manchmal hier blicken, und er hat uns nie Schaden zugefügt. Er nimmt nur, was wir ihm geben.»
Wieder Kopfschütteln und leises Schnauben. «Das ist unmöglich.»
«Was? Einen Fuchswelpen großzuziehen?»
«Nein. Das mit dem Mädchen. Dass es allein hier gelebt haben soll, hier im Wald. Mitten im Winter? Es hätte nicht die geringste Überlebenschance gehabt.»
«Du glaubst, niemand könnte das schaffen? Sich von dem ernähren, was das Land hergibt?»
«Oh doch, der ein oder andere schon. Ein Mann. Einer, der wirklich weiß, was er tut. Aber davon gibt’s nicht viele.» Er klang, als würde er sich selbst zu diesen wenigen anderen rechnen. «Und ganz bestimmt kein kleines Mädchen.»
Jacks Gesichtsausdruck war Garrett offenbar nicht entgangen, denn er wirkte auf einmal weniger selbstsicher. «Ich meine, ich zweifle nicht an, was Sie gesehen haben wollen. Aber vielleicht gibt es dafür eine andere Erklärung.»
«Vielleicht.» Langsam ging Jack auf das Haus zu. Er dachte nicht, dass Garrett noch etwas sagen würde, doch als er schon fast bei der Tür angelangt war, hörte er ihn rufen. «Gute Nacht! Und sagen Sie Mabel auch gute Nacht.» Ohne sich noch einmal umzuwenden, hob Jack die Hand zu einem kurzen Winken.
«War’s nett?» Mabel hob den Blick nicht von ihrer Näharbeit. Sie hatte eine Lampe angezündet und beugte sich in dem schwachen Licht dicht über den Stoff. Jack zog vorsichtig seine Stiefel aus und ging zur Schüssel hinüber, um sich die Hände zu waschen. Er benetzte auch sein Gesicht mit dem kalten Wasser und rieb sich dann Gesicht und Nacken trocken.
«Kommst du mit dem Nähen voran?»
«Langsam, aber sicher. Ich musste gerade ein paar Nähte auftrennen, das war etwas ärgerlich.» Sie legte ihre Arbeit hin, richtete sich auf und streckte ihren Nacken. «War es schön auf eurem Spaziergang?»
«Ja, ganz in Ordnung. Nicht so ruhig wie sonst.»
«Er ist ziemlich redselig geworden, nicht wahr? Aber ich bin gern mit ihm zusammen. Und er ist wirklich tüchtig.»
«Ja, das stimmt.»
Jack stocherte im Ofen und legte Holz nach. Der Herbst nahte, und schon wurde es nachts kühler.
«Was nähst du da eigentlich die ganze Zeit?»
«Ach, nur eine Kleinigkeit.»
«Ein Geheimnis? Dann ist das wohl ein Weihnachtsgeschenk?»
«Nicht für dich. Nicht das hier.» Mabel lächelte ihn an.
«Was ist es dann?»
«Ach, wirklich nichts
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