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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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Sie schaute zu ihm hoch. «Es ist herrlich mitzuarbeiten, das Gefühl zu haben, dass ich auch etwas tue. Der Tag heute mag gut und gern einer der schönsten in meinem Leben gewesen sein …» Ihre Stimme verlor sich, als ihr bewusst wurde, was sie da sagte. Jack nickte stumm.
    Sie zog ihr Nachthemd an und kroch unter die Decken. Jack saß in seiner langen Unterwäsche auf der Bettkante.
    «Jack?»
    «Hmmm?»
    «Es wird alles wieder gut, nicht wahr? Ich meine, mit uns beiden?»
    Vorsichtig und unter leisem Stöhnen hievte er seine Füße ins Bett. Er wandte sich zu Mabel, streckte die Hand aus und strich ihr über das offene Haar, wieder und immer wieder, ohne ein Wort zu sagen. Mabel sah Tränen in seinen Augenwinkeln glitzern und stützte sich auf den Ellenbogen. Dann lehnte sie sich hinüber und küsste seine feuchten Lider.
    «Es wird gut werden, Jack. Es wird alles gut mit uns beiden.» Und sie bettete seinen Kopf in ihren Arm und ließ ihn weinen.

Kapitel 25
    Dieser Sommer war ein wahres Gottesgeschenk, das erkannte sogar Jack. Der Himmel schickte Regen und Sonnenschein in perfekt abgestimmtem Wechsel. Garrett zog aus eigenem Antrieb Gemüse für die Eisenbahner, und die Pflanzen standen prächtig auf dem Feld.
    Jacks Rücken bereitete ihm noch immer Schwierigkeiten; an manchem Morgen musste er sich aus dem Bett zu Boden gleiten lassen und auf allen vieren zur Kommode kriechen, wo er sich hochziehen konnte. Bisweilen waren seine Hände und Füße taub, und an anderen Tagen schwollen die Gelenke schmerzhaft an. Er fürchtete, eines Tages überhaupt nicht mehr aus dem Bett zu kommen.
    Doch am Ende des Tages, wenn die Berge mit ihren Schneekappen im Zwielicht der Mitternachtssonne blauviolett schimmerten, wanderte er allein um seine Felder, und dann wurde sein Schritt leichter. Er ging die schnurgeraden Reihen mit Salat und Kohl ab; die gewaltigen Köpfe prangten prall und grün. Der Boden war weich und nachgiebig unter seinen Stiefeln und duftete nach Leben. Oft nahm er eine Handvoll Erde auf, strich mit dem Daumen darüber und staunte, wie fett sie war, oder er zog ein Radieschen aus der Reihe, wischte es an der Hose ab und ließ es genussvoll zwischen den Zähnen krachen. Das Grün warf er in den Wald. Dann wanderte er weiter zum neuen Feld, wo ihm die Kartoffelpflanzen bis zum Oberschenkel reichten und gerade zu blühen begannen. Kaum zu glauben, dass das derselbe leblose, knochenbrechende Boden sein sollte, über den ihn im Frühjahr das Pferd geschleift hatte.
    All das verdankte er Esther, das war ihm klar, und dem Jungen. Garrett säte den Salat und die Radieschen so aus, dass sie jede Woche etwas ernten konnten – gerade so viel, wie die Eisenbahner brauchten. Er jätete zwischen den Kartoffeln und häufelte sie an. Er wusste, welcher Dünger half und welcher nicht, sodass Jack sich nicht blind auf den Verkäufer in Anchorage verlassen musste, sondern auf echtes Fachwissen bauen konnte.
    Trotz seiner vierzehn Jahre war der Junge schon ein verlässlicher Farmer, aber mit dem Herzen war er nicht dabei. Immer wieder bat er um die Erlaubnis, sich für ein paar Tage mit Pferd, Ranzen und Flinte davonmachen zu dürfen. Manchmal hatte er bei seiner Rückkehr die Satteltasche voll mit Regenbogenforellen oder Tannenhühnern fürs Abendessen. Einmal schenkte er Mabel einen perlenbestickten elchledernen Beutel, den eine Athabasca-Frau weiter oben am Fluss angefertigt hatte. Dann wieder brachte er Geschichten mit – von einem Gebirgswasserfall, den er entdeckt hatte, oder von einem Grizzly, wie er auf einem Schneefeld spielte.
    «Der Bär hat sich benommen wie ein kleines Kind, er ist immer wieder nach oben gelaufen, runtergerutscht und gleich wieder hochgaloppiert.»

    Eines Abends, als die Sommersonne schräg ins Tal fiel, fragte Garrett, ob er Jack auf seinem Spaziergang um die Felder begleiten dürfe.
    «Ich nehme meine Flinte mit. Vielleicht kommt uns ja ein Tannenhuhn unter.»
    Jack war sein langsames Schritttempo unangenehm, und er wäre lieber für sich geblieben. Außerdem behagte es ihm nicht, dass der Junge auf seinem Ackerland jagen wollte. Hin und wieder schreckte er auf seinen Wanderungen ein Tannenhuhn auf; er genoss den kleinen Nervenkitzel, wenn der schwere Vogel direkt vor seinen Füßen geräuschvoll aufflatterte, um sich dick aufgeplustert auf einem Fichtenast niederzulassen. In der Hoffnung, der Junge würde den stummen Wink verstehen, reagierte er daher gar nicht, doch Garrett flitzte zur

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