Das schoenste Maedchen der Welt
Rest vom Schützenfest des Lebens. Dies gehört nicht zur Geschichte, die ich euch erzählen will, aber da es einmal geschrieben ist, mag es stehenbleiben.
Gestern besuchte mich meine Nichte Christine. Christine steckt in einer unguten Haut. Sie hat Angst, sich etwas zu vergeben. Sie vermeidet das Lachen, um nicht leichtsinnig zu wirken. Auch dem Lächeln und jedem freundlichen Wort geht sie aus dem Wege, damit die Leute nicht glauben, sie stehe an der Türe und warte nur darauf, jemand eintreten zu sehen. Dabei besteht sie aber auf ihren Rechten dem Leben gegenüber, weicht nicht wie wir alle einen Schritt zurück, um dann zwei vorzutreten, nein, sie steht, wo sie steht und nimmt lieber die Püffe entgegen, als daß man von ihr sagen könnte, sie ließe sich leicht an die Wand drücken. Und dies alles mit jungen achtzehn Jahren. Ich habe Angst um ihre Zukunft.
Unlustig trat sie bei mir ein, bestellte die Grüße meiner zärtlichen Verwandten, nahm kühl eine Zigarette, die ich ihr anbot. Ihre Art verriet, daß sie wieder einen Ballast auf dem Herzen hatte, den sie loszuwerden strebte. Ich ließ es ruhig in ihr gären, tat, als beschäftige ich mich mit einem Buch, und bot ihr durch kein Wort eine Brücke.
„Deine Frau ist auch nicht nett zu mir“, begann sie endlich, „ich hörte ganz deutlich vor der Tür, wie sie zu dir sagte: ,Christine ist schon wieder da! Hoffentlich bleibt sie nicht zum Essen!’ Ich habe ihr doch nichts getan! Warum sind alle Leute so häßlich zu mir?“ Ich wollte ihr nichts erwidern.
„Du machst dir keine Vorstellung“, fuhr sie fort, „wie es mir im Büro geht! Sogar unsere Vorsteherin, die früher so freundlich zu mir war und mir noch vor einer Woche ein Mittel gegen meinen Schnupfen verriet —“
„Hat es geholfen?“ unterbrach ich.
„Nein. Natürlich nicht.“
„Du hast ihr hoffentlich gesagt, daß es genützt hat?“
Christine sah mich an, als käme ich aus einer fremden Welt.
„Keineswegs! Ich lüge doch nicht. Ich habe ihr erklärt, daß durch ihr Mittel mein Schnupfen nur noch schlimmer geworden sei. — Und noch eines, Onkel Hanns, ich bin verliebt.“
Ich antwortete ruhig:
„Warum solltest du es nicht sein? Es scheint dir ja auch selbst kein Wunder, sonst würdest du es nicht so ruhig feststellen.“
„Ist Verliebtsein ein Wunder?“
„Es ist das schönste Wunder, das das Leben uns schenken kann“, sagte ich, „es ist so geheimnisvoll, daß man immer Angst hat, es fliegt davon, wenn wir nur den Mund öffnen, um davon zu sprechen. Bei dir jedoch bin ich ohne Sorge, dein Glück scheint handfester zu sein.“
Ich wußte, daß ich vor ihr mit diesen Worten ein sonderbarer Heiliger wurde. Aber Heilige sind auch Menschen.
„Justus und ich sind uns einig“, fuhr Christine fort, „wir wissen, was wir voneinander zu halten haben, wir werden heiraten. Nur seine Mutter ist dagegen. Sie sagt es nicht gerade, aber sie behandelt mich, als ob ich nicht im Zimmer wäre.“
„Und du, Christine, was tust du?“
„Ich? Natürlich nichts. Ich kann mich ihr doch nicht aufdrängen, ich kann ihr doch nicht um den Hals fallen.“
„Doch, Christine“, sagte ich, „gerade das solltest du tun! Du beklagst dich, daß alle Welt unfreundlich zu dir ist. Es gibt ein Mittel dagegen. Es steht dir frei, es zu versuchen. Ich gebe zu, es wird dir widerstreben, aber eine gute Medizin schmeckt immer bitter.“
„Und das Mittel?“
„Küsse jeden, den du triffst!“
„Das ist doch nicht dein Ernst! Man wird mich auslachen!“
„In diesem Falle verspreche ich dir, hinzugehen und zu erklären, daß es sich um eine lustige Wette handelt. Dann haben wir das Lachen auf unserer Seite.
Willst du es also versuchen?“
„Du hilfst mir, Onkel Hanns?“
Ich nickte: „Den nächsten Menschen, den du siehst, küßt du!“
*
Der nächste Mensch, der eintrat, war meine Frau. Ich gab Christine einen leisen Stups, und sie flog meiner Frau um den Hals. Ungeschickt gab sie ihr zwei Küsse auf die Wangen. Meine Frau wurde verlegen.
„Was ist denn in dich gefahren, Christine?“ rief sie, „und ich habe immer geglaubt, du magst mich alte Frau nicht! Du hast mich also doch gern? Wie ich mich freue, Christine! Du bleibst doch hoffentlich zum Essen? Und Apfelküchel backe ich dir auch noch schnell, ich weiß ja, wie gern du sie ißt!“
Als Christine später mit mir aus dem Haus trat, begegneten wir ihrer Bürovorsteherin.
„Sie auch? Muß ich?“ fragte
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