Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
Vom Netzwerk:
die
Augen geschlossen und einen Joint im Mund.
    Wir reden nicht. Wir
wissen ja alles. Reden ist überflüssig. Wir müssen unserem Körper diese
wohltuende Zeit lassen, wir waren im Anderswo, und wir sind zurückgekehrt.
    Es ist Nacht. Ich
sehe ihn am Fenster stehen, das uns von der Welt trennt, von den Stimmen der
Straße, der Leute, die aus den Restaurants kommen. Er fährt mit der Hand über
das Wunder der intakten Fensterscheibe, die fest in ihren Holzrillen sitzt. Wir
haben all die Plastikverkleidungen an den Fenstern gesehen, wie die Augenbinden
eines Verwundeten. Und ich frage mich, wann es uns wohl wieder gelingt, die
Scheibe zu übersehen und hinauszuschauen.
    Wir nahmen unser früheres
Leben wieder auf, das unterbrochene. Es war, als würden wir uns den Körper
eines Geliebten auf die Schultern laden, den wir nicht mehr liebten und für den
wir eine traurige Zuneigung empfanden, ein lästiges Pflichtgefühl. Die
Morgendusche und dann raus, hinaus in diese Tage, die uns einfach nicht mehr zu
gehören schienen. Diego suchte sich Arbeit und ging aus dem Haus wie in alten
Zeiten, er hatte sein Motorrad und seine weißen Hemden wiedergefunden, er sah aus
wie er. Ich blieb an der Tür stehen, mit dem Rücken an der Wand, und atmete
tief durch. Die stille Wohnung beunruhigte mich, und unbewusst bewegte ich mich
wie in Sarajevo immer an den tragenden Wänden entlang, als hätte ich Angst vor
einem plötzlichen Einsturz.
    Ich bin im Büro. Mein
Chef hat sich über meine lange Abwesenheit beschwert.
    »Gemma, du bist
Chefredakteurin.«
    Ich habe die Arme
ausgebreitet: »Ohne Festanstellung.«
    Ich sehe die grauen
Computer, die Gesichter meiner Kollegen. Viola bringt mir einen Cappuccino aus
der Bar mit und ein Hörnchen. Sie lässt mir keine Ruhe, postiert ihren Hintern
auf meinen Schreibtisch und redet, redet. Mir geht durch den Kopf, dass sie es
nicht geschafft hätte, wenn sie in Sarajevo gewesen wäre, sie ist nicht clever,
sie ist faul, gibt kaum auf sich acht, nein, mit ihrer Gutmütigkeit wäre sie
nicht mal auf die andere Straßenseite gekommen. Ein Heckenschütze hätte sie ins
Visier genommen und sich seinen Spaß mit ihr gemacht. Sie ist das typische
Opfer. Im Grunde habe auch ich sie immer ausgenutzt und mich nur über sie
lustig gemacht, ich habe sie nie für so ebenbürtig gehalten, dass ich sie
wirklich ins Vertrauen gezogen hätte. Ich sehe die Kollegen in der Redaktion
an, verwelkte Jugendliche wie ich, in aller Eile diplomiert und dann gestrandet.
Kleine, in diesem Krötentümpel gealterte Haie. Ich stelle mir vor, dass ich auf
sie schieße, ihre Stirn durchlöchere, sehe, wie sie auf ihren jämmerlichen
Kommandoposten zusammensinken. Viele meiner Kollegen möchte ich heute am
liebsten zur Hölle schicken, ihre nichtigen Überempfindlichkeiten und ihre Jammerstimmen.
    Ich rufe Diego an.
    »Wie geht’s?«
    »Und dir?«
    Wir sind in unserem
Gesetz des Schweigens gefangen. Wir reden nicht. Wir machen beide das Gleiche,
wir bemühen uns, das Weite zu suchen. Uns von jenen Tagen zu entfernen, indem
wir andere Tage dazwischenschieben, diese hier, die nur mühsam vergehen.
    Ich schreibe einen
Artikel über Viehmist. In Indien wird er als Brennstoff verwendet, in Norwegen
hat sich ein Mann ein Haus daraus gebaut. Aus Scheiße, wohlgemerkt. Ich lache.
Ein Gedanke tröstet mich, ich wiege ihn wie eine Puppe. Ich bin froh, keine
Kinder zu haben. Gestern Abend habe ich dieses tote Kind im Fernsehen gesehen,
seine Mutter wusch es für die Beerdigung. Ich stand in der Küche und schnitt
Brot, ich ließ das Messer sinken. Bekreuzigte mich. Gute Reise, du unnützes Leben . Ich schaltete den Fernseher aus und
schnitt weiter Brot. Das ist nicht dein Kind, Gemma , sagte ich mir. Du hast keine Kinder, du Glückliche.
    Wir gehen zum
Abendessen zu Freunden. Wir sind zur Normalität zurückgekehrt, zu den Klamotten
in der Reinigung. Duccio hat Geburtstag. Die Terrasse ist nach dem Winter
wieder offen, unten fließt der Tiber, vergoldet durch die Festbeleuchtung von
Sommerveranstaltungen, Buchvorstellungen, läppischem Mist. Da ist die
Engelsburg und ihr in die Nacht gereckter Engel. Ich trage High Heels, meine
Schultern sind nackt. Diego hat sein locker gewebtes Leinenjackett an, seine
Haare sind offen, seine Koteletten lang. Wir haben die Schnauze voll vom
Traurigsein, es hat uns gefallen, Hand in Hand auszugehen, frisch geduscht und
zurechtgemacht. Heute Abend sind wir schön wie zwei Filmstars. Rasch ein Glas
Sekt,

Weitere Kostenlose Bücher