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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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ihm die
Hand auf die Schulter und lächelt.
    Häuser fliegen
vorbei. Elegante, umbertinische Palazzi, Häuser aus der Zeit des Faschismus,
Balkone geometrisch wie Schiffsdecks, dann die Architektur der sechziger Jahre,
und dann die Barockbauten des Stadtzentrums, die das Rosa der römischen
Sonnenuntergänge aufsaugen.
    Die weiße Spinne des
Vatikans und ringsumher das Dunkel der Kirchen, das Gold der Kunstgalerien, der
Gestank der Stofflager, die heisere Stimme des Ghettos und die wuchtige Stimme politischer
Macht, die Touristenherden und ein zerlumpter Aristokrat, der vor einer
Getränkebude bei den Tauben sitzt, die den gelben Muskel des Tiber absuchen.
    Seit Jahren will ich
weg, und seit Jahren bleibe ich. Und heute danke ich dem Himmel für meinen
Westen mit seinem dreckigen Frieden.
    Die Leute gehen ihren
Geschäften nach, kommen aus den Läden und Büros, gehen über die Straße,
schlingen ein Brötchen hinunter, rennen ins Fitness-Center.
    Ich habe Lust auf
alles. Möchte jede Straße umarmen und stundenlang herumschlendern, langsam und
aufrecht. Wir sind raus aus der Hölle.
    Zu Hause. Ein
muffiger Geruch, der Geruch des letzten Gedankens, den wir in diesen vier
Wänden zurückließen. Auf dem Tisch liegt noch der Stapel weißer Umschläge,
Ultraschallbilder, ärztliche Befunde, die ich in der Nacht vor der Abreise auf
allen vieren auf dem Teppich durchstöbert hatte. Ich setze meinen Fuß in die
Wohnung, gehe herum. Das Ticken des Küchenweckers. Das schwarze Maul des
abgeschalteten Kühlschranks, die leeren Löcher für die Eier. Der Geruch des
angeklebten Fußbodenbelags. Diegos Fotos, Füße, die auf die U-Bahn warten.
    Ich öffne die
Fensterläden, schiebe sie über den schmutzigen Fensterbrettern auf. Eine
Schlange aus Sonnenlicht gleitet über die Bilder. Diego hat sich auf das Sofa
gesetzt, hat nach wenigen Schritten dort Halt gemacht, in diesem weißen Graben.
Er sagt, all die aufgereihten Füße seien der letzte Dreck, wir sollten sie von
der Wand nehmen.
    Ich antworte nicht.
Doch mir ist klar, dass ihm seine Bilder von früher nie wieder gefallen werden.
Er sieht sie an und sagt, es komme ihm so vor, als hätte nicht er sie gemacht.
    Ich reiße alles auf.
Lasse Licht herein. Mit langen Schritten erobere ich mir meine Parkettmeter
zurück. Wir sind in Sicherheit, im Schoß unserer Wohnung. Mein Vater ist
weitergefahren, er wollte nicht heraufkommen. Er hat uns geholfen, das Gepäck
in den Fahrstuhl zu bringen, und dann auf dem Absatz kehrtgemacht.
    »Schlaft euch aus«,
hat er gesagt. »Macht die Fensterläden zu und schlaft euch aus, erholt euch.«
    Zum Glück ist einiges
zu tun. Mit dem Schwamm über den Küchentisch zu fahren, frische Laken auf das
Bett zu ziehen. Diego hilft mir, er wischt das Zimmer. Er wringt den Lappen
aus, als wollte er jemandem den Hals umdrehen, und knallt ihn auf den Boden. Es
ist ein Anfall, der einfach so über uns kommt, eine Therapie. Wir könnten es
sein lassen, ausgehen und die Putzfrau anrufen. Doch so ist es uns gerade
recht. Sich bewegen zu können, an den weit geöffneten Fenstern vorbei, ist ein
Privileg an diesem Morgen. Es gibt nichts Schöneres, als eine Wohnung zu
putzen, als mit körperlichen Schlägen auf die Vergeblichkeit zu reagieren, auf
die unterdrückten Gedanken. Wir nehmen einen von den großen Müllsäcken. Diego
wirft Unmengen von Probeabzügen weg, Scheißfotos, und ich entsorge alle meine Befunde
und Ultraschallaufnahmen. Ich bin fertig damit. Wir fallen uns in der Mitte des
Wohnzimmers in die Arme, schmutzig von Roms Staub und verschwitzt. Zeitgleich
drehen wir uns zum Fenster um wie zu einem Foto. Oder wie zu einem Heckenschützen.
Wer weiß, ob der Anwalt aus dem Haus gegenüber nicht ein Präzisionsgewehr in
die Öffnung der Klimaanlage gesteckt hat.
    Später gehen wir raus
und verlieren uns auf dem Markt zwischen den Ständen mit dem Gemüse der Saison,
dem Rot der Strauchtomaten, den Kisten mit Kirschen, den Endivien im Wasserbad.
Wir raffen das Leben an uns, kaufen ein. Diego hat Sandalen angezogen, er hat
die Jesuslatschen aus der Abstellkammer geholt und sie sich an die Füße
gepappt. Irgendwer grüßt uns, man fragt, wo wir gewesen seien.
    »Im Ausland«, sagen
wir. Im Ausland.
    Wir füllen den
Kühlschrank randvoll mit Essen und machen uns einen bunten Salat. Wir stopfen
Vitamine in uns hinein. Essen frisches Brot und machen eine schöne Flasche Weißwein
auf. Ich habe die Füße auf den Tisch gelegt. Diego streichelt sie. Er hat

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