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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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der
Tür, rote Hosenträger auf schwarzem T-Shirt.
    »Was zum Teufel hat
dich denn geritten?«
    Diego greift nach den
Hosenträgern, zieht sie an sich und lässt sie wieder los. Duccio wird von
diesem Gummigeschoss getroffen, von dieser letzten Salve des durchgeknallten
Fotografen.
    Eines Abends schreit
Diego auf. Ich brate Eier und stürze sofort ins Wohnzimmer. Gojko ist im
Fernsehen. Er ist immer noch derselbe, ist am Leben, seine Haare sind
gewachsen. Er redet italienisch, sagt: »Dieser Krieg ist kein humanitäres
Problem, wir müssen uns verteidigen. Schickt uns Kalaschnikows statt Makkaroni!«
    Der Reporter
versucht, sich das Mikrofon zurückzuholen, doch Gojko hält es fest. Jetzt
brüllt er in seiner Muttersprache herum, er ist sauer auf Mitterrand, der zu
einem Spaziergang durch Sarajevo angereist ist, er ist sauer auf die UNO -Blauhelme, die dort wie kaputte Ampeln herumstehen.
    »Ist er betrunken?«
    »Sternhagelvoll.«
    Die vernebelten Augen
Gojkos, unseres Dichterfreundes, der an diesem Abend wie ein Vietnam-Veteran
aussieht, lassen uns noch eine ganze Weile nicht los.
    Die Eier sind
verkohlt. Wir essen Käse.
    Wir warten darauf,
dass der Krieg aufhört. Doch stattdessen schlagen Granaten auf den Märkten ein,
eine in der Tito-Allee und eine auf dem Rade-Končar-Platz. Diego ist stinkwütend auf den Fernseher, er streitet sich mit
dem Reporter in der kugelsicheren Weste und dem sommerlichen Pashmina-Schal. Er
knurrt Beweg
deinen Arsch da weg und lass mich sehen, was hinter dir los ist . Auf der Suche nach Nachrichten zappt
er von einem Sender zum nächsten. Die Reportagen sind immer dieselben,
Wiederholungen bis zur letzten Spätausgabe. Doch er klebt wie eine Klette am
Bildschirm. Immer wieder sieht er sich die Bilder an, als hoffe er, etwas zu
finden, was ihm vorher entgangen ist … wie bei seinen Pfützen, wie bei seinen
Fotos.
    Wir halten Ausschau
nach unseren Freunden zwischen den erschrockenen Gestalten, die in den
Nachrichten aus Sarajevo für wenige Sekunden über den Bildschirm huschen. Die
Toten sehen wir uns nicht an, da weichen wir einen Schritt zurück.
    Ich suche Sebinas
Lächeln, das vorn Löcher hat, dort, wo ihr die Milchzähne herausgefallen sind.
Was wohl aus meinem Patenkind geworden ist? Ich schreibe ihr fast jeden Tag
einen Brief, habe aber noch keine Antwort erhalten. Ich frage mich, ob der Häuserblock
mit den blauen Eisengittern überhaupt noch steht, stöbere in den Fernsehsendern
und suche den Bildschirm ab. Warum bloß zeigen sie diese Straße in Novo
Sarajevo nicht? Wo
willst du da mit der Fernsehkamera denn hin?
    Es kommt mir so vor,
als filmten sie immer dieselben Straßen, immer dieselben Häuser. Der Kameramann
geht ein paar Schritte raus und schlüpft dann wieder ins Foyer des Holiday Inn zurück, zu den Sofas der
internationalen Presse.
    Wir versuchen fast
jede Nacht, Gojko zu erreichen. Das Telefon füllt sich mit fremden,
unverständlichen Stimmen, mit Radiofrequenzen oder wer weiß was, es klingt wie
ein Bauch mit Verdauungsproblemen.
    Auch heute Abend
brennt das Essen an, es verkohlt im Topf. Gezeigt wird eine Reportage über den
Zoo von Sarajevo. Der Panther und die Paviane sind in ihren Käfigen krepiert.
Der Wärter kann nicht mehr zu den Tieren, um sie zu füttern und ihnen zu trinken
zu geben. Ich sehe die fellbedeckten Körper im Staub liegen, mein Gesicht ist
tränenüberströmt. Vielleicht weine ich um die Tiere, weil ich nicht mehr um die
Menschen weinen kann. Ich weine, weil ich mich an den Tag mit Aska im Zoo
erinnere, sie hatte eine Tüte Erdnüsse gekauft, die Hand zwischen die
Gitterstäbe gestreckt und das Futter verstreut. Später war sie in einen leeren
Käfig gegangen und hatte dort mit schaukelndem Kopf eine Weile gestanden.
    Auch heute Abend
essen wir Käse. Diego spielt mit der Rinde herum und formt einen Buchstaben,
ein A. Ich bemerke es später, als ich die Teller abwasche.
    Diego steht morgens
früh auf, zieht sich an, ruckt das Motorrad vom Ständer und fährt los. Er ist
jetzt viel in Mailand, arbeitet den ganzen Tag und wirft sich abends in das
letzte Flugzeug.
    »Wie war’s?«
    »Gut.«
    Wenn er nach Hause
kommt, frage ich ihn dies und das, doch ich merke, dass er sich Mühe geben
muss, um nicht nervös zu werden.
    »Da passiert gar
nichts, weißt du.«
    »Wer war denn so da?«
    »Immer dieselben. Wer
zum Teufel soll denn da sein?«
    Er kommt mit seinem
Kopf heran, schmeichelt sich mit seinem Geruch bei mir ein. Er bittet mich

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