Das schönste Wort der Welt
dann ein zweites, vom Silbertablett eines Kellners geschnappt, der kein
Gesicht hat, nur einen uns entgegengestreckten, weißen Arm. Göttliche Kelche,
kühl beschlagen. Zwei pro Nase, um in Stimmung zu kommen.
Leute aus Diegos
Bekanntenkreis sind da, mit Kultur getünchte Schickeria. Ganz wie in den
Pinzimonio-Schälchen, ein Büschel Grün und eine Möhre, ein Streifen Paprika und
ein Radieschen.
»Na, wie geht’s?«
»Gut, und dir?«
Wir essen eine
Kleinigkeit, ein Langustenschnittchen, eine schinkenumwickelte Grissino-Stange.
Wir finden uns in
einer Ecke der Terrasse wieder, eine Hand auf der Schulter, mit staubigen
Augen, wir schauen dem langsamen Kauen des Festes zu. Duccio kommt mit einem
Typen zu uns, erzählt was von Sarajevo und sagt, dass wir dort gewesen sind. Er
lädt ein wachsweiches Gesicht bei uns ab, einen Karpfen mit Brille und Zigarre,
der nicht mal unsympathisch ist. Er will wissen, will reden. Er ist Journalist,
einer von denen, die in der Redaktion sitzen und den Auslandsdienst ihren
jungen Kollegen überlassen.
Wir haben keine Lust,
auch nur ein Wort zu sagen, und brummeln mal ein Ja und mal ein Nein. Der
Karpfen redet sowieso allein, er weiß schon alles aus der Presseschau. Nach
einer Weile sind zu viele Leute um uns herum. Sie haben uns zu dem großen
Rattansofa gezogen. Sarajevo und der Krieg sind groß in Mode, sie sind die
Tragödie des Jahres. Man kann herrlich den Kopf schütteln und Amerika und
Europa verteufeln. Alle wollen das Neueste über diese Stadt hören, die sich in
einen Acker verwandelt hat, auf dem man Hasen eine Ladung Schrot aufbrennen
kann. Ich gebe mir die größte Mühe, mich zu erinnern und diesen Hasen ihre
menschliche Würde zu erhalten. Doch wie soll man den Geruch jener bescheidenen
Wohnungen beschreiben, die besser sind als unsere, den Mut der Frauen, aus dem Haus
zu gehen, sich zu schminken … Wie soll man die leblose Hand beschreiben, diese
Harke aus Fleisch, still im Staub?
Der Sesseljournalist
hat jetzt die Platte des Hasses zwischen den verschiedenen Volksgruppen
aufgelegt. Ein voll im Trend liegender Kerl streitet sich mit einer
Intellektuellen, der Mann sagt, Europa habe Angst vor dem Islam, die Frau sagt
Nein, Europa habe Angst vor Deutschland, vor seinen Banken und seinen Fabriken,
wie im Zweiten Weltkrieg.
Es macht immer was
her, über Weltpolitik zu reden, man sagt nichts Nützliches für die Welt und
nichts Wahres über sich selbst. Das tote Kind, das von der muslimischen Mutter
gewaschen wurde, ist scheißegal. Auf dieser Terrasse spielt man »Risiko«.
»Woran denkst du?«
»An Gojko.«
Er hätte mit Gläsern
geschmissen und die Schnittchentabletts auf den Boden geschleudert. Oder
vielleicht hätte er für ein gutes Trinkgeld seinen Arsch verkauft, hätte
großspurig dahergeredet und nur Schwachsinn geschwafelt. Die Wahrheit ist schließlich viel zu
offensichtlich, viel zu blöd, und alle wollen sich doch schlau fühlen .
Dieser so nahe, so
grausame Krieg entfesselt eine morbide Neugier. Die Frau neben mir ist
freundlich, sie kratzt sich ihr bereits sonnengebräuntes Bein und sieht mich
mit aufrichtigem Schmerz an. Sie hat eine Geldüberweisung für die Caritas in Sarajevo
ausgestellt. Ich versuche, etwas von den kultivierten, aufgeklärten Menschen zu
erzählen, die ich dort kenne, über ihre grenzenlose Würde. Sie nickt, scheint
sich jedoch nicht dafür zu interessieren. Der Osten ist mit Klischees behaftet,
mit seinem Mief.
Diego sagt nichts,
hat die ganze Zeit nichts gesagt. Er hat einen Rotweinfleck auf dem
Leinenjackett. Das wir in die Reinigung geben werden.
Ein junges Mädchen
ist auch da, die Tochter von irgendwem, üppiges Haar, die Brüste klein wie
Lupinensamen. Sie schwärmt für Diegos Arbeiten, schwärmt für Pfützen. Auch sie
erkundigt sich nach Sarajevo, nach dieser Stadt, die gerade Mode ist. Diego
nimmt sie am Arm, führt sie zur Terrassenbrüstung, die zur Uferstraße zeigt und
zur römischen Wiege der heiligen Stadt, der weißen Spinne. Er streckt den Arm
aus und beginnt zu schießen, tatatata, tatatata, tatatata …
Das Mädchen begreift
nicht und lacht. Dann weicht sie zurück.
Der Fotograf hat
getrunken, er zielt auf die vorbeifahrenden Motorroller und auf die Schönlinge
vor dem Kiosk, an dem bunte Getränke verkauft werden, er schreit: » Enjoy Sarajevo …«
Alle drehen sich nach
ihm um. Ich gehe zu ihm, täusche ein Lachen vor.
»Lass uns nach Hause
gehen. Es ist schon spät.«
Duccio steht an
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