Das schönste Wort der Welt
um
Verzeihung, seine Augen machten ihn wahnsinnig, das liege an den schwarzen
Leinwänden, die den Staub anzögen, und an den verfluchten Scheinwerfern. Er
hält den Kopf unter den kalten Wasserstrahl in der Küche und taucht mit nassen
Haaren wieder auf. Das Wasser läuft ihm ins Hemd und trocknet fast
augenblicklich. Von der Straße weht der Wind heiß wie ein Föhn herein. Wie
kommen Gojko und die anderen bloß ohne Wasser zurecht?
Wir sitzen zum Essen
wie gewohnt in der Küche, einander gegenüber an diesem Tisch, der aus der Wand
unter dem Fenster kommt. Wir sitzen gern dort, es ist, als würde man im Zug essen.
Man kann aus dem Fenster schauen, einen Blick auf die Straße werfen und auf die
Passanten. Diego schaut kauend in die Nacht. Er nimmt meine Hand und spreizt
langsam meine Finger auf dem Tisch.
»Willst du wissen,
was ich heute gemacht habe?«
Er fährt über meine
Adern und schiebt sich in die Ritzen zwischen meinen Fingern. Eine Bewegung, so
müde wie seine Stimme. Heute Abend nuschelt er ein bisschen.
»Ich habe den lieben
langen Tag eine Thunfischbüchse fotografiert.«
Erst ungeöffnet, dann
geöffnet. Er hat Stunden damit zugebracht, das richtige Licht zu finden, um die
Maserung des Thunfischs zu beleuchten, um das Öl aufglänzen zu lassen.
Wir lachen, und er
erzählt mir, dass es sogar eine Maskenbildnerin für den Fisch gab, die ihn
ständig mit Öl befeuchtete, ihn auswechselte, sobald er unter den Scheinwerfern
etwas welk wurde, und ihn in die Garderobe trug wie ein erschöpftes Model. Er
erzählt, sie hätten eine Unmenge von Thunfisch verbraucht, der aber so gar
nicht verkauft werde, denn der, der in den Büchsen lande, sei selbstredend
minderwertig. Das sei kein Bauchfleisch, sondern Gekröse.
»Dann ist das also
ein einziger Schwindel.«
»Wie alles.«
»Die Welt geht den
Bach runter«, sagt er. »Und wir mit ihr.«
Er lacht und entblößt
all seine schiefen Zähne.
Er hat so gut wie
nichts gegessen.
Es gibt Kirschen,
immer zwei zusammen, wie Liebespaare. Er schlingt einige hinunter, ohne die
Kerne auszuspucken.
Wieder sagt er: »Ich
habe den lieben langen Tag eine Thunfischbüchse fotografiert.«
Er steht mit zwei
Kirschpaaren an den Ohren vom Tisch auf. Nach wenigen Schritten kotzt er auf
den Teppich. Er entschuldigt sich und sagt, er habe es nicht mehr bis ins Bad
geschafft.
»Geht’s dir
schlecht?«
»Nein, mir geht’s gut.«
Am Sonntag schließt
er sich in der Dunkelkammer ein. Dort verbringt er den ganzen Tag, zwischen
Schalen und Flüssigkeiten. Die Augen auf dem Vergrößerungsapparat, wo er die
Negative über die Lichtfläche laufen lässt. Er zieht sich gern in dieses Gefängnis
zurück, in den einzigen Winkel unserer Wohnung, der wirklich ihm gehört.
Von Sarajevo hat er
kein einziges Foto verkauft. Er hat nur wenige Abzüge gemacht, sie für sich
behalten und auf ein graues Häufchen geworfen.
Die somalische
Putzfrau kommt, um unsere Wohnung aufzuräumen, manchmal hat sie ihre Tochter
dabei. Das macht mir nichts mehr aus, ich freue mich sogar, wenn ich sie in
einer Ecke unserer Küche sitzen sehe. Ich bin unbeschwert, wenn sie da ist, und
ich bin unbeschwert, wenn sie geht. Ich fühle nichts.
Die Mutter leert
Diegos Papierkorb, in dem zerrissene Abzüge liegen. Ein Schnipsel fällt heraus.
Er ist schwarz-weiß, das Rot der Haare ist also nicht zu erkennen, trotzdem
gehören diese Strähne und das helle, halbe Auge zu Aska. Als ich es bemerke,
ist es zu spät, die Frau hat die Mülltüte bereits weggebracht. Mir bleibt nur
dieses eine Stückchen, ich sehe es an und werfe es weg.
Es ist August, fast
alle haben die Stadt verlassen. Nur die Gefangenen sind geblieben, die Alten,
die Einsamen, die Behinderten … die Patienten im Endstadium, die sich nicht von
den Krankenhauslaken lösen können. Das Fernsehen sendet Luftaufnahmen von den
Staus auf den Autobahnen. Die Bar hat zugemacht und auch das Restaurant, aus
den Fenstern steigt kein Duft nach Steaks und gebackenen Artischocken mehr
herauf.
Wir haben ein Lokal
gefunden, wo kein Alkohol verkauft wird, wir trinken Mandelmilch in der
Gesellschaft von Leuten aus dem Viertel, dicke Frauen in bis zu den
Oberschenkeln aufgeknöpften Kittelschürzen und mit Latschen, alte Männer im Unterhemd.
Es ist ein Freizeitklub für irgendwelche Angestellte, sie lassen uns herein,
weil Sommer ist, im Winter wird hier getanzt, steife, marionettenhafte Tänze
aus früheren Zeiten. Es gibt eine Laube mit einem Bocciaplatz
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