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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Verrenkungen er
machen wird, um eines zu finden. Sebina wird ihm täglich in den Ohren liegen,
weil sie die Fische nicht im Topf lassen kann. Gojko hat es schon bereut, sie ihr
geschenkt zu haben. Weil es nicht mal auf dem Schwarzmarkt Futter für sie gibt. Weil
alles Lebende stirbt . Sebina ist unruhig, wir müssen jetzt immer öfter in den Keller hinunter
und dort stundenlang bleiben. Doch sie will ihre Fische nicht allein lassen.
    »Mir tut mein Herz
weh«, sagt sie.
    »Alles, was du
liebst, fügt dir Schmerzen zu, das ist nun mal so.«
    Sie denkt eine Weile
darüber nach.
    »Willst du deshalb
keine Kinder?«
    Mir ist zum Heulen
zumute, ich zwicke sie und lächle.
    »Du genügst mir
vollkommen.«
    »Ich bin nicht dein
Kind.«
    »Ein bisschen bist du
es doch.«
    Sie mustert mich mit
ihrem frechen Schnäuzchen.
    »Ja, ein kleines
bisschen.«
    Sie zeigt es mir mit
der Hand, ein Stück Liebe eingeklemmt zwischen zwei Fingerchen.
    An jenem Morgen
gingen die Leute in aller Ruhe aus dem Haus, die Frauen mit einem Tuch um den
Hals, die Männer mit einer Krawatte. Man musste denen in den Bergen, diesem
Dreifinger-Klub der Tschetniks, die geschlossene Faust mit dem herausgestreckten
Mittelfinger zeigen. Als Botschaft für sie, Steckt euch eure Präzisionsgewehre in den
Arsch. Die
Halstücher und die geordneten Schritte waren dazu da, genau das auszudrücken.
Um zu beweisen, dass das Leben weitergeht. Die Frauenklinik war getroffen, und
der Sitz der Oslobodjenje war zur Zielscheibe für gelangweilte
Schützen geworden. Wer nichts zu tun hatte, gab immer mal einen Schuss darauf
ab. Die Stadt wirkte wie ausgestorben, dann kehrte wieder Leben ein, wie auf
einer Weide. Auf der Mauer unten vor dem Haus war ein Schriftzug aufgetaucht:
    WIR SIND HEUTE NACHT NICHT GESTORBEN.
    Ich sah ihn jeden
Morgen vom Fenster aus, er schnürte mir die Kehle zu.
    Tags zuvor war die
Hölle los gewesen, das Zetra-Eisstadion im Olympischen Dorf war abgebrannt,
dieser Metallhut, der allen so viel bedeutet hatte, war geschmolzen.
Feuerwehrleute und Freiwillige kämpften viele Stunden lang. Ein
Waffenstillstand war angeordnet worden, ohne Widerruf, es hatte Sanktionen gegen
die aus Belgrad gegeben. Man kam nicht umhin, Schlange zu stehen. Nach Wasser,
nach Brot, nach Medikamenten. Die Leute riskierten Kopf und Kragen, wenn alle
so dicht zusammenstanden, wie die Tauben, doch heute war ein Tag der Zuversicht,
der Frauen, die auf dem Bürgersteig ein Schwätzchen hielten, und der Kinder,
die zwischen den Beinen hindurch entwischten. Die Sonne schien. Es geschah in
der Vase-Miskina-Straße, wo heute eine der größten Rosen zu sehen ist. Die kleine
Tür gibt es noch, zwar wird kein Brot mehr verkauft, aber sie ist noch da.
    In kleiner Schrift
aufgereiht stehen die Namen neben dem Stern und dem Mond der Moslems und einem
Vers aus dem Koran.
    Es waren Frauen,
Männer und spielende Kinder. Sie konnten nicht wissen, dass ihre Namen an
dieser Wand eingraviert sein würden, endlos fotografiert von den Handys der
Touristen. Sie standen nach Brot an, es roch gut. Es war ein Tag der Zuversicht,
der Hasen, die den Kopf herausstrecken. Es war Ende Mai, die Schwalben pickten
die Krümel auf, wenn jemand das Brot schon auf der Straße in Stücke brach. Es
gab ein paar Glückspilze. Leute, die schneller und rechtzeitig dagewesen waren,
die sich früh angestellt hatten, noch vor den anderen, und dann mit ihrem
länglichen oder runden Brot ohne Hefe und ohne Salz weggegangen waren. Doch es
gab auch welche, die zufällig stehen geblieben waren, die ein Gespräch anfingen
und ein paar Worte mit einem Bekannten wechselten. Da schlugen drei Granaten
ein, zwei auf der Straße und eine weiter vorn auf dem Markt. Und alle, die
gerade dort waren, traten eine Reise an, zerspritzten. Der Platz wurde zu einer
Theaterszenerie, überall rote Fetzen. Sie sollte um die Welt gehen, diese rote
Abscheulichkeit. Dieses blutgetränkte Brot.
    »Ich hätte nicht
gedacht, dass ein Kind so viel Gehirn hat«, sagte ein alter, an einen Stock
geklammerter Mann. »Es quoll heraus, das Gehirn, es hörte gar nicht mehr auf.«
    Eine Frau saß auf
einer kleinen Mauer, sie weinte nicht. Sie hielt zwei tote Kinder im Arm, eines
links und eines rechts, wie zwei abgeschnittene Blumen. Eine andere versuchte,
zu ihrem Bein zu kommen, sie kroch ihm auf den Ellbogen nach. Ein Mann war
besonders merkwürdig anzusehen. Rücklings wie ein Handschuh, den man auf der
Straße findet und über einen Zaun hängt, für

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