Das schönste Wort der Welt
aus Kannen und Eimern.
Diego fotografiert
die Menschen, die stumm in diesem Wasserrahmen umherziehen, sterbende, an die
Oberfläche gekommene Fische.
Ich bin pitschnass.
Auf dem Boden nichts als Matsch, dann ein kahler Kopf, von einer
Schaufensterpuppe abgerissen und aus einem Laden geflogen, die Lippen rot und
glänzend im Regen, die unechten Augen weit aufgerissen. Ich bleibe stehen und
starre diesen absurden Kopf an, der sehr einsam aussieht, am liebsten möchte
ich mich bücken, ihn aufheben und mitnehmen, ihn in einer Bar auf den Tisch
setzen und mit ihm sprechen. Diego geht jetzt über die Ćumurija-Brücke. Ich würde gern umkehren, doch
mir ist, als wäre da nichts mehr hinter mir. Ich haste ihm hinterher, haste
diesem weißen Kreuz hinterher.
Er geht an der
Papajajka vorbei, einem hässlichen, quietschbunten Gebäudekomplex, einem von
Granaten niedergestreckten Papagei. Diego läuft weiter, ohne sich umzuschauen.
Er betritt ein Haus, das niedriger ist als die anderen, eine ehemalige Schule,
Räume in einer Reihe, schwarz wie Höhlen. Klassenzimmer, die weder Türrahmen
noch Türen haben, weil diese genauso in den Öfen gelandet sind wie die Bänke,
von denen nur noch vereinzelte Eisengestelle übrig sind. Es stinkt nach
Exkrementen. Diego scheint den Weg zu kennen. Er geht an einer Wand vorbei, an
der noch eine Landkarte des alten Jugoslawien und ein zerschossenes Bild von
Tito hängen. Ein Mann zerkleinert ein übrig gebliebenes Holzbrett, er würdigt
mich keines Blickes. Ich folge den Schritten meines Mannes. Stimmen und
Geräusche sind zu hören, von Menschen, von denen nicht klar ist, ob sie lachen oder
weinen. Ab und an sehe ich einen Vorhang oder einen Teppich, der an die
Türöffnung genagelt ist und eine klägliche Intimität wahren soll …
Matratzenhaufen auf dem Boden, provisorische Öfen. Wahrscheinlich ist dies eine
Flüchtlingsunterkunft. Ich rieche Holz und Lack, die zusammen verbrennen. Diego
hat sein Ziel erreicht. Er hebt den Zipfel einer Plastikplane an und gesellt
sich zu den Menschen, die in der Mitte eines Raumes an einem Feuer hocken, das
auf dem Boden entzündet wurde, auf den feuchten Steinplatten. Es ist ein müdes
Feuer, das nur Rauch produziert.
Ich bleibe vor der
Plane stehen. Mein Blick gleitet forschend über die armseligen Rücken. Als ich
es bemerke, schlucke ich, mein Atem ist Glasstaub, der die Kehle ruiniert.
Durch die Kopfbedeckung sind ihre Haare nicht zu erkennen, sie sieht aus wie
eine von vielen erschöpften muslimischen Frauen, Bäuerinnen, die aus ihren
niedergebrannten Dörfern entkommen sind. Diego öffnet den Rucksack und setzt
sich zu ihr. Sie lehnt sich an seine Schulter, hat auf ihn gewartet. Sie
trinken den Schnaps, den er mitgebracht hat, sie reichen sich die Flasche zu.
Dann geben sie sie den anderen.
Aska steht auf. Sie
trägt noch ihre Militärstiefel, ist aber nach türkischer Art mit einem šalvare bekleidet, der Pluderhose der Muslime.
Sie geht mit Diego hinaus auf die Straße. Vom Regen rutscht ihr Schleier
zurück, und jetzt sieht man hinter der weißen Sichel ihrer Stirn die roten
Haare.
Mich durchblutet eine
merkwürdige Euphorie, eine grimmige Freude, die mir den Kopf abschneidet. Ich
bewege mich in der irrealen Stille dieses Regens vorwärts, der jeden anderen
Laut verschluckt. Sie gehen nicht direkt zusammen, er bleibt hinter ihr, etwas
abseits. Sie wirken wie ein Pärchen, das sich gestritten hat.
Ich folge ihnen durch
die obligaten Laufgräben zwischen Blechwänden und Betonblöcken. Jetzt sind sie
ohne Deckung, an einer der ungeschützten Kreuzungen mit dem Schild ACHTUNG HECKENSCHÜTZEN .
Ich halte an, fühle
die Angst in den Beinen, im Bauch. Da ist ein Spalt, durch den das Bleigrün der
Berge zu sehen ist. Die im Regen versunkenen Tannenwälder gleichen vorrückenden
Kriegern. Jemand ist im Zickzack losgerannt. Ich habe die Schussgarbe gehört.
Ein Mann, der auf der anderen Seite der Kreuzung jetzt zum Glück in Sicherheit
ist, schnappt vornübergebeugt nach Luft. Angstgestank … Ich schwitze in meinen
nassen Sachen.
Ich kann es nicht
fassen, Aska geht los. Gebannt starre ich auf diesen Vormarsch. Sie rennt
nicht, sie geht seelenruhig, als wäre dies keine verfluchte Kreuzung in
Sarajevo, sondern Rom oder Kopenhagen.
Diego ist stehen
geblieben, als hätte er keine Lust mehr, ihr zu folgen. Dann plötzlich stürzt
er aus der Deckung und läuft mit seiner roten Regenjacke und dem Klebebandkreuz
auf dem Rücken wie der
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