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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Krankenträger eines Rettungswagens los … Er schubst sie
heftig, zieht sie am Arm weiter und schreit, sie solle laufen und von dort
verschwinden. Mit seinem Körper schirmt er sie ab.
    Die Salve bleibt aus,
vielleicht ist die Schicht des Heckenschützen vorüber, oder vielleicht starrt
auch er ungläubig auf dieses Lamm mit den roten Haaren, auf diesen
gleichgültigen Tanz.
    Diego und Aska sind
jetzt hinter dem Wrack einer Straßenbahn in Sicherheit. Sie hat sich eine
Zigarette angezündet. Die beiden hocken dort wie nasse Tiere, ich weiß nicht,
wie lange. Sie raucht noch eine Zigarette. Er raucht auch, und sie scheinen nicht
miteinander zu reden. Sie kauern still zusammen, die Knie auf Nasenhöhe. Dann
umarmen sie sich, unversehens, als hätten sie plötzlich Frieden geschlossen und
als hätte sie ihr Leben absichtlich aufs Spiel gesetzt, als sie so langsam über
die Kreuzung schlenderte, vielleicht nur, um ihn zu bestrafen. Er hat ihr den
Schleier abgenommen und streicht ihr übers Haar. Vergräbt seine Stirn in diesem
Haar und atmet still in diese nasse Umhüllung.
    Mir ist, als spürte
ich den Geruch dieser Umarmung, den warmen Geruch eines Nestes, eines
Unterschlupfs.
    Diese Regung kenne
ich von ihm aus der Anfangszeit, als er seine Heimatstadt verlassen hatte und
sich noch nicht so recht in Rom eingewöhnen konnte. Damals lehnte er seine
Stirn gegen mich, gegen meine Schulter, von einer seelischen Müdigkeit übermannt.
Er blieb so, in meine Knochen gepflanzt, mit dem verborgenen Blick eines
besiegten Kindes, das nicht gesehen werden will, während es vor Liebesbedürftigkeit
vergeht.
    Aska scheint
wesentlich stärker zu sein als er. Sie tröstet ihn schroff, befangen, fast
schon ärgerlich über diese Schwäche.
    Sie steht auf, sie
ist größer und magerer, als ich sie in Erinnerung habe, sie ähnelt einer
schwarzen Kerze. Und aus dieser Magerkeit sticht ihr Bauch hervor, eine runde
Wölbung, wie eine Schwellung. Man könnte es für einen Bauch halten, der von
Krieg und schlechter Ernährung ausgehungert ist, von den Brennnesseln, von den
Mehlsuppen, vom ungenießbaren Wasser, das von Desinfektionspillen verfärbt ist
… für einen wurmkranken Bauch. Doch ich weiß, dass es nicht so ist. Dieser
Bauch trifft mich wie eine Granate. Ich weiche zurück, so bauchlos wie der Mann
in der Vase-Miskina-Straße, wie dieser durchlöcherte Handschuh, der am Geländer
hing.
    Ich lasse die beiden
zurück. Wandere durch diesen abgebrannten Rummelplatz. Ich hebe den Kopf der
Schaufensterpuppe auf und trage ihn unter dem Arm spazieren.
    Es ist mir gelungen,
nach Hause zu gehen und ins Bett zu kriechen. Ich habe nicht einmal die Tür
zugemacht, sie schlägt jetzt in ihren Angeln den Takt der Wartezeit, Windstöße
fahren herein und Regenschauer, die alles durchnässen. Diego kommt zurück,
schüttelt seine Haare, zieht sich die Regenjacke und die nassen Jeans aus. Er sitzt
da, mit seinen weißen Füßen und dem eingefallenen Gesicht.
    »Jetzt weißt du,
warum ich nicht weg kann.«
    Ich nehme, was kommt,
das Fieber und alles andere. Die Halluzinationen, Kringel im Wasser, im Matsch,
im Himmel der roten Geschosse. Ich sehe eine lange Reihe leerer Gräber und
darin alle Menschen, die ich kenne, jeder in seiner Grabstätte, wir unterhalten
uns, lächeln, öffnen und schließen die Deckel, die man schieben kann wie die
von Streichholzschachteln. Velida bringt mir einen ihrer Kräutertees. Diego hat
sich seine Hosen nicht wieder angezogen, er sitzt mit nackten Beinen da, der Docht
der Kerze brutzelt im Öl. Diego kommt nicht näher, er wiegt den Kopf.
    »Warum hast du es mir
nicht gesagt?«
    Er wollte allein
damit fertigwerden, wollte nicht, dass ich mein Leben aufs Spiel setzte, sagt
er.
    Er ist nicht
aufgewühlt, weint nicht, er ist gar nichts. So starr wie dieser Krieg.
    Wir haben das
Regenwasser aufgefangen. In unserem Zimmer gibt es einen Friedhof der
Schüsseln. Ob das Wasser wohl verseucht ist? Doch was spielt das schon für eine
Rolle? Ich will ein Bad nehmen. Das Fieber verbrennt mich. Ich tauche in die
Eiseskälte, die nach Tümpel riecht.
    Er wusste, dass ich
ihm auf den Fersen war, sagt er, und hat mich gewähren lassen.
    »So konnte es ja
nicht weitergehen.«
    Er ist ruhig, zum
ersten Mal seit Monaten.
    Sie haben in jener
Nacht miteinander geschlafen und all die Nächte und Tage, die sie noch zusammen
waren. Und es war keine Paarung, es waren Stunden der Liebe, absoluter
Zärtlichkeit.
    Erst jetzt, da er von
ihr

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