Das schönste Wort der Welt
auseinander. Diese kleine Show ist für mich.
Ich klatsche Beifall. Was bleibt, ist ihr Lächeln. Und der einsame Klang meiner
Hände, die gegeneinanderschlagen.
Ich frage sie, was in
dem großen Umschlag steckt, der an der Türklinke hängt. Sie sagt, darin seien
die Papiere, die Wohnungsunterlagen, die Geburtsurkunden mit der Blutgruppe und
auch Mirnas Führerschein, dazu Geld und Schmuck und Papas Uhr. Sie hängen da,
falls sie schnell weg müssen, falls eine Granate das Haus treffen sollte.
Sie hustet, öffnet
den Mund und sprüht sich etwas von ihrem Asthmamittel in den Hals. Sie lacht,
sagt, es schmecke eklig.
»Nach Wanzen«, sagt
sie.
»Seit wann hast du
Asthma?«
Seit sie allein zu
Hause bleibt und es ihr die Kehle zuschnürt, sie hat Angst um ihre Mutter,
davor, dass sie nicht zurückkommt. Sie geht mit den Schuhen auf und ab, die in
dem dunklen Flur aufblinken.
»Sie leuchten ja
immer noch.«
»Na klar, sie laden
sich von selbst wieder auf.«
Sie hört von
Todesfällen, doch nur aus der Ferne, weil Mirna sie abschirmt und zu Hause
behält. Trotzdem weiß Sebina, dass man nun beim Gehen sterben kann. Sie rät mir
aufzupassen.
»Du bist zwar
Italienerin, aber das wissen die nicht, sie halten dich für eine aus Sarajevo
und schießen dich ab.«
Ich gehe mit Diego
aus dem Haus. Ziehe mir die kugelsichere Weste an, die er niemals trägt. Wir
gehen schweigend durch die Trümmer, zusammen mit anderen. Sie haben es nicht
eilig, sie sind ruhig, haben kaum wachere Augen als die Bewohner einer Stadt im
Frieden. Die Männer sind unordentlicher, ungewaschene Haare und zerknitterte
Anzüge, in denen sie geschlafen haben. Doch es gibt auch welche in Jackett und
Krawatte, vielleicht Professoren oder höhere Angestellte. Wohin wollen sie? Die
Schulen und Büros sind geschlossen. Sie gehen mit ihren Mokassins und mit ihren
schwarzen Aktentaschen für Dokumente und Vorlesungstexte durch den Staub. Sie
bewegen sich vorsichtig und fast in Zeitlupe durch diese metaphysische
Landschaft. Es liegt etwas Unnatürliches in der Ruhe dieses Minenfeldes, diese
Menschen wirken sonderbar, wie die Gestalten eines Bühnenbildes. Die Angst
macht sie starr und steif. Nur ihre Augen wandern schnell umher und bewegen
sich wachsam, wie wirkliche Augen in einer Pappfigur. An den Kreuzungen gibt es
jetzt Warnschilder: PAZI
SNIPER! Achtung
Heckenschützen!
Alle sind dünn, hier
hat kein Mensch mehr Übergewicht. Das sollte ich den Mädels im Fitness-Studio
mal erzählen. Cellulitis-Probleme? Macht einen Trip nach Sarajevo, hier wird
nicht gegessen, und man läuft den ganzen Tag über. Die Monate der Belagerung
lassen sich an den Köpfen der Frauen abzählen, die sich ihr Haar nicht mehr
färben können, an den traurigen Streifen nachwachsenden Graus. Doch die jungen
Frauen erhalten sich ihre Eleganz, sie gehen mit erschöpften, doch perfekt
geschminkten Gesichtern aus dem Haus.
Das ist ein
Durchhaltezeichen, ein Stinkefinger für die in den Bergen, dieses Ausgehen all
der Menschen, diese beharrliche Ruhe, diese hohen Absätze und dieser
Lippenstift in den Schneisen, die der Krieg gerissen hat, auf den obligaten
Wegen zwischen den Schützengräben aus Sandsäcken und Eisenkreuzen.
Wir kommen zur
Brauerei. Diego fotografiert die langen Schlangen der nach Wasser anstehenden
Menschen und das Leitungsrohr im Freien, das voller kleiner Öffnungen ist, an
die die Leute ihre Kanister halten.
Räder. Es gibt Dinge,
die vorher nicht wichtig waren, die wie an jedem anderen Ort der Welt nicht der
Rede wert waren. Doch jetzt … Räder. Jeder spricht über Räder, jeder fragt, ob
man nicht noch ein paar alte Räder hat.
Točak … Točak …
Mit Rädern lassen
sich die Wasserkanister transportieren, das Brennholz, die Autoteile, alles,
was man auftreiben kann.
Diego fotografiert
einen alten Mann, der einen Kinderwagen mit einer Baumwurzel darin zieht. Ein
großes Baby aus erdverklumptem Holz, das im Winter gute Dienste leisten wird.
Der Tag besteht aus
dieser Jagd, hier unten, im Dreck der Trümmer. Während die Heckenschützen Jagd
auf uns machen.
»Das Lieblingsziel
sind Mütter, wusstest du das?«
Nein, das wusste ich
nicht.
»Die Tschetniks
finden es witzig, zu sehen, wie die Kinder weinen, zu sehen, wie sie den Mund
aufreißen und verzweifelt schreien.«
Diego fotografiert
die Kinder, die nie aufgehört haben zu spielen, sich in einsturzgefährdeten
Räumen und unter den Betonplatten eingestürzter Dächer verstecken. Er hockt
sich
Weitere Kostenlose Bücher