Das schönste Wort der Welt
ihnen und sagte, sie sollten diesen Rest in
den Fluss werfen.
In der Nacht träumt
Aska von langen, mattgrauen Gumminasen, solchen, die sie in der Schule im
Kunstunterricht gebastelt hatten und die die Schüler auf dem Fest zum
Jahresende trugen. Die Nasen lösen sich von der Leine, fliegen ein bisschen herum
wie Fledermäuse und legen sich dann wie Umhänge auf die Schultern der Menschen,
wie Mäntel. Diese Menschen sind blass, vielleicht schon tot. Vielleicht sind
sie der Tod. Sie tragen nur diese Mäntel, dazu schwarze Kniestrümpfe, blanke
Schuhe und sonst nichts. Der Morgen graut, und es herrscht das Eislicht eines
Duells. Die vielen Menschen sind Richter, sie schließen sich zu einem Kreis
zusammen wie Fledermäuse, die sich umarmen. Aska steht in der Mitte wie auf dem
Schulfest zum Jahresende, wenn die mit den Nasen verkleideten Jungen Eisenbahn
spielen und das auserwählte Mädchen einkreisen, wobei sie rufen nächste Station, nächste Station .
Aska weiß, welches
die nächste Station ist. Sie versucht, sich zu erhängen, doch es gelingt ihr
nicht, weil der Strick kein richtiger Strick ist, sondern ein Paar
unbrauchbarer Strumpfhosen.
Sie spielt nicht mehr
Trompete. Der Kerl, der ihr immer Komplimente machte, der mit den glashell
blauen Augen, hat sie in ihrem Körper benutzt.
Jetzt kann sie
sterben wie die Kleine.
Der Körper. Der
Körper ist ein umgestülpter Beutel, der zum Trocknen aufgehängt wurde, um einen
Quersack daraus zu machen. Der Körper ist eine lange Kette leidender Körper.
Sie fragt sich, was aus den Kohlblättern ihrer Mutter und aus der Brille ihres
Bruders geworden ist.
Doch dann lassen sie
sie in Ruhe, sie holen sie nicht mehr. Sie lassen sie in den Küchen
herumstreifen.
Diego hat es nicht
mehr geschafft. Er schaffte es immer, doch seit jener Nacht hat er es nicht
mehr geschafft, etwas
Schönes zu
finden. Er kehrte nach Italien zurück. Suchte es auf jeder Fensterscheibe, die
er berührte. Irgendwann fotografierte er stundenlang eine Thunfischdose, er sah
diesen im Öl aufgeweichten Fisch, dieses rosafarbene Fleisch. Er dachte über
das vergangene Leben dieses großen Fisches nach. An diesem Abend hielt er auf
dem Heimweg vom Flughafen am Wasserflughafen von Ostia an. Er hatte seine
Witterung in der Szene von früher wieder aufgenommen, wusste, welche Blicke er
suchen musste. Er spritzte sich das Heroin im Stehen, mit dem Rücken an einem
von der Salzluft ausgeblichenen Plakat einer Campari-Werbung.
Er kehrte in die
Hölle zurück. Hin und wieder besucht jemand vom Internationalen Roten Kreuz die
Lager, dann räumen die Folterknechte auf und lassen die am schlimmsten
zugerichteten Frauen verschwinden. Die Kameraleute filmen menschliches Vieh, so
unterernährt wie in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkriegs. Diego weiß
nun, dass sie hier ist. Es ist ihm gelungen, sich Zutritt zum Lager zu
verschaffen. Er hat sich mit einem der Kerkermeister angefreundet, einem Kerl
mit einem dunklen Fleck unter dem Auge. Er hat eine Polaroid-Kamera bei sich.
Es war eine gute Idee, mit diesen großen, quadratischen Kartuschen bewaffnet
nach Sarajevo zurückzukehren. Eigentlich brachte er sie für die Kinder mit, sie
sind ganz verrückt nach dieser glänzenden Zunge, die aus der Kamera kommt wie
aus einem Maul. Er konnte nicht ahnen, dass auch die Tschetniks im Lager so
viel dafür übrig haben würden. Sie wollen jetzt alle ein Polaroidfoto. Sie
posieren in ihren Uniformen, mit den hochgezogenen Sturmmasken auf dem Kopf und
mit den langen, schwarzen Bärten. Sie sehen sich die Fotos an, die sofort
herauskommen, und schreiben etwas darunter, auf den weißen Streifen: ihren Namen
und eine Nachricht für ihre Verlobte oder ihre Mutter. Schnell macht Diego
jetzt auch Schnappschüsse mit der Leica. Die Tschetniks vertrauen ihm; während
sie posen, erzählen sie, wie schwer das Leben in den Bergen ist. Sie protzen
damit, sie sind stolz darauf. Ihnen gefällt das Objektiv, ihnen gefällt es, gesehen
zu werden. Und Diego sieht sie. Auch der Kommandant posiert, ein
hochgewachsener Mann mit einem freundlichen Gesicht, die Augen blau wie das
Meer. Er lässt sich allein fotografieren, dann mit seinen Leuten im Rücken, die
Gewehre auf den Boden gestellt. Er fragt, ob das Licht gut sei. Diego lässt sich
Zeit, sucht den richtigen Bildausschnitt. Der Kommandant sucht sein bestes
Profil, er reckt den Hals ein wenig, denn das ist sein einziger Makel, sein
etwas zu kurzer Hals. Sie sind lammfromm vor ihm,
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