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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Handlungsreisende, aus
der ein Dreckstall der Bestien geworden ist. Die Frau hat die Tische an ihren
Platz zurückgestellt, bückt sich unter sie und hebt nun die Scherben der Tassen
auf. Sie wirft sie nicht weg, wischt sie an ihrer Schürze ab und legt sie auf
die Frühstückstheke, aufgereiht wie archäologische Fundstücke.
    Verwirrt sieht Diego
diesem Scherbensammeln zu, die Frau gibt ihrem Wahnsinn nach und singt wie eine
Bäuerin beim Ährenlesen friedlich vor sich hin.
    Sie schaut kaum auf
zu diesem Jungen mit der nackten Brust unter dem offenen Hemd und weicht einen
Schritt zurück, für einen Moment hält sie ihn für einen der Teufel.
    Diego fragt, was aus
den Mädchen geworden sei, wohin man sie gebracht habe.
    Die Frau zuckt mit
den Schultern, sie weiß es nicht. Sie muss ihren Ehemann begraben, den alten
Mann, der auf der Treppe gestorben ist. Sie bindet sich ein Kopftuch um, dann
gehen sie auf den Hof. Die Hühner sind alle tot, ihre Körper tüpfeln die Wiese,
man hat sie zum Spaß abgeknallt, um die neuen Waffen auszuprobieren. Diego
steht da und sieht zu, wie der Wind in die Federn fährt.
    In dem tintenblauen
Unterseelicht wankt er davon. Er geht in das erstbeste Gebäude, an dem er
vorbeikommt, weiß nicht, ob es ein Kino oder eine Kirche ist. Er sieht nur die
dunklen Bänke, legt sich hin und schläft ein.
    Er träumt. Er träumt
davon, wie das Heroin in ihm aufstieg und der Flash kam. Träumt von diesem
Höhepunkt, als sein Blut dahinschmolz und die Nerven zu geschmeidigen Fasern
wurden, als die Dornen von seinem Körper verschwanden, die Haut sich entfaltete,
sich in weichen Schuppen dehnte und ein heißes Meer durch seine Adern flutete.
Das war etwas
Schönes , die
Flucht.
    Aska wurde auf einem
Militärlastwagen weggebracht, man hat sie ausgeladen. Sie weiß nicht, was das
für ein Ort ist, vielleicht eine stillgelegte Fabrik. Als sie klein war,
hänselte man sie im Dorf, man nannte sie mrkva , die Möhre, wegen ihrer roten Haare.
So eine Farbe auf dem Kopf zu haben ist bereits Schicksal, man zieht die
Aufmerksamkeit der schrägsten Vögel auf sich, wie ein einzelner Kürbis mitten
auf dem Feld.
    Sie greift sich an
die Beine, um sie stillzuhalten, doch ihre Muskeln brutzeln wie Würste in einer
Pfanne.
    Sie hat keine
Schmerzen, irgendwo tropft etwas Nasses herunter, vom Kopf auf den Hals,
hinten. Sie möchte mehr sehen, als sie sieht, doch ihre Augenlider sind wie
dicke Mäuse, die sich in einer Falle bewegen.
    Die anderen Frauen
jammern, sie nicht. Jetzt sollen sie laufen, man treibt sie mit Gewehren an.
Sie sieht einen Schuppen mit einem Gewirr silbriger Knäuel, sieht Maschinen.
    Man sperrt sie in
einen langgezogenen Raum mit einem Streifen hoher Fenster. Sie gleiten
erschöpft an der Wand entlang, schlafen auf ihre Füße gekauert ein, wie Hühner.
    Aska fragt sich, wo
die Welt ist. Wo die Musikschule ist und die Kafana, in der sie immer
gefrühstückt hat. Am nächsten Tag, als sie die erste Frau wegschaffen, steht
sie auf und hofft, dass man sie rufen werde. Sie will schreien, will
anprangern, was ihr angetan wurde. Will mit dem Soldaten reden, der sie in
Empfang genommen hat, den mit der tadellosen Uniform, der Armeezwieback und
Suppe bringen ließ.
    Als die Frau Stunden
später zurückkommt, blutet sie aus der Nase und schlingert in ihren Schuhen,
als wäre Öl darin. Keine hat den Mut, zu ihr zu gehen, sie zu fragen, was da
draußen los ist. Nachdem sie zunächst alle zusammengehalten haben wie eine
Schafherde im Dunkeln, rücken sie in den folgenden Tagen allmählich
auseinander. Sie suchen nach Winkeln in diesem Raum, in denen sie sich
verstecken können. Doch es gibt nicht den kleinsten Schlupfwinkel, man müsste
durch die Wand gehen, und dafür dürfte man keinen Körper haben.
    Aska hat ihre
Trompete. Sie presst sie an die Brust wie ein Herz. Sie spielt. Sie legt allen
Atem hinein, den sie hat. Will die Frauen trösten, will sich wegträumen.
    Sie sagen, sie solle
still sein, und werfen etwas nach ihr.
    Die Soldaten bringen
Decken, einen braunen Haufen, den sie in eine Ecke schleudern. Am Ende des
Schlafraums ist ein Waschraum, Aska wartet, bis sie an der Reihe ist, um sich
zu waschen. Wasser ist alles, was sie jetzt will. Eine kindische, einfältige
Freude erfasst sie, wie damals, als sie mit ihren Freunden in den Fluss sprang,
als sie in den eisigen Lachen herumhüpfte und ihre weiße Haut betrachtete, die
durch das Grün der Strömung schimmerte.
    Durch die Öffnungen
weiter

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