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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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in
Ordnung, du wirst schon sehen.«
    Wir wiederholten den HCG -Test am folgenden Tag. Sie zerstachen
mir den Arm. Ich schaute weg, zur Wand, zu dem Glas mit dem Alkohol neben den
Tupfern auf dem Metallwägelchen. Wir verließen das Labor. Leute stritten sich,
ärmliche Leute, die nach überfüllten Bussen stanken, Leute mit der Aufrufnummer
in der Hand, Münder voller Bitterkeit. Wir gingen in eine bessere Bar. Frühstückten
im Stehen am Tresen. Ein kräftiger, schwatzhafter Kerl kam herein. Er kannte
Diego, ein Werbefachmann, einer seiner Auftraggeber. Er umarmte ihn und redete
sofort wegen eines Projekts auf ihn ein. Etwas aufdringlich, ein lärmender Typ,
laut quakend vor Leben. Wir wirkten wie zwei Lemuren, zwei arme Spukgestalten,
die sich nur versehentlich auf die Erde stützten. Ich sah, wie Diego unbändig
lachte, um sich Mut zu machen. Er stellte mich vor, und ich streckte mein
knochiges Händchen aus. Wir kehrten nach Hause zurück. Später ging Diego noch
einmal los, um die Testergebnisse abzuholen. Ich stand am Fenster und sah ihn
zurückkommen, er ging auf der Straße am Markt vorbei, dessen Stände gerade
abgebaut wurden. Mit angespanntem Gesicht und dem Umschlag in der Hand. Wir öffneten
ihn gemeinsam auf der Couch. Ich rief meine Frauenärztin an. Die HCG -Werte waren zu niedrig.
    Ich verlor das Kind
zwei Tage später. Ich war in der Redaktion, spürte diesen Schwall zwischen
meinen Beinen und stand entsetzt auf. In dem winzigen Klo mit den Konsolen
voller Papierpacken und Stifteschachteln zog ich mir die Strumpfhosen und alles
Übrige herunter. Da war dieser kleine Sumpf aus Blut und Gerinnseln, der immer
noch weiter sickerte, ich tamponierte mich mit Papierhandtüchern und hielt mich
auf den Beinen, verstört, schief. Dabei schaute ich in das Stückchen Spiegel, das
an der Wand hing, und sah ein entstelltes Gesicht. Ich war so entsetzt und klar
im Kopf wie ein durch eine plötzliche Raserei oder durch unglückliche Umstände
frischgebackener Mörder, ich versuchte, die Beweise wegzuwischen, hellrotes
Wasser floss ins Waschbecken, ins Bidet.
    Ich stopfte mir einen
Stapel Papierhandtücher zwischen die Beine, stützte mich an der Tür ab und
wartete darauf, dass die Blutung aufhörte. Das Papier war im Nu durchnässt, ich
entfernte das weiche Bündel, das von einem unfassbaren Feuerrot war, und nahm
noch mehr Papier. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht so viel Blut
gesehen.
    »Komm und hol mich
ab.«
    »Ist was passiert?«
    »Komm und hol mich
ab.«
    Ich wartete draußen
auf ihn, auf der Stufe, auf der sonst immer ein Penner kampierte, der jetzt
schon weg war. Diego kam angerannt, seine Schritte auf dem Pflaster klangen wie
Ohrfeigen. Ich stürzte mich mit offenem Mund in seine Arme. Ertrank in seiner
Jacke.
    Ich
hab’s verloren. Ich hab’s verloren. Ich hab’s verloren.
    Im Krankenhaus
tauchten wir in eine ruhige Atmosphäre, Pfleger, die rauchten und an einem
Radio klebten, in dem ein Pokalspiel übertragen wurde, dazu warmes Licht, ein
alter Palazzo im Stadtzentrum. Breite, von Schritten dunkle Marmortreppen. Es
war kurz vor Weihnachten, die Leute liefen nach Geschenken herum, auch das
Krankenhaus wirkte halbleer. Ich weinte nicht mehr, ich tropfte wie ein müder
Himmel.
    Man untersuchte mich,
machte einen Ultraschall. Reichte mir ein langes Stück Papier, damit ich mir
das Gel vom Bauch wischen konnte. Der diensthabende Arzt lächelte. Er war ein stämmiger
Mann mit der flammenden Stimme eines fliegenden Händlers.
    Er sagte, ich hätte
Glück gehabt, die Blutung habe mir eine Ausschabung erspart. Und ansonsten …
handle es sich gar nicht um eine richtige Fehlgeburt.
    »Das sind blinde
Eier«, sagte er. »Der Körper stößt sie auf natürlichem Weg ab.«
    Ich sei jung und ich
könne fast sofort wieder schwanger werden.
    »So etwas kommt sehr
häufig vor.«
    Also gingen wir nach
Hause, mit leeren Händen und leerem Bauch, getröstet von den Worten dieses
fachmännischen Arztes. Kein Grund, in Traurigkeit zu verfallen, nur
weiterzumachen. Wir schalteten das Licht in der Wohnung an und wappneten uns für
diesen Scheißabend. Diego machte die x-te Flasche Wein auf, die beste, die wir
im Haus hatten. Er wollte diesen Mist vertreiben. Er hielt sich den Korken an
die Nase, roch daran und sagte Verdammt, was für ein Wein. So trösteten wir uns, mit einem Glas dunklem Roten. Es war nun mal
so gelaufen, was soll’s. Der Wein war wirklich gut, Traubensaft, der wärmte.
Dieses Kind war

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