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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Stausee,
wo alles von uns zusammenfloss, die stille, stagnierende Lache mit unseren
kleinen Unterwasserbewegungen. Unsere Hände suchten sich, unsere Finger verflochten
sich wie jene Zellen dort unten, die sich umschlangen, sich ungeschützt
zusammendrängten.
    »Ich liebe es jetzt
schon.«
    Er versank im Wasser
und tauchte wieder auf. Mit nassen, an seinem kleinen Kopf klebenden Locken und
seinen großen Ohren, platt wie Flundern.
    Ich war mir sicher,
dass es Ähnlichkeit mit ihm haben würde.
    So schliefen wir ein,
gewärmt von diesem Bad. Noch halbnass waren wir unter die Decken gesunken.
Musik weckte mich, es war Diego am Klavier.
    Ich dachte an die Fotogalerie
an unseren Wänden, an all die unbekannten Füße. Jetzt schien es mir, als hätten
sie sich in Marsch gesetzt, sie kamen durch den noch im Dunkel versunkenen Flur
auf uns zu. Ich stellte mir vor, dass sie Schuhe, Stiefel und Traurigkeit
abwarfen und zu diesen Klängen tanzten, um gemeinsam mit uns zu feiern.
    Kaffeeduft drang
herüber. Diego war in der Küche, ich kam zu seiner Hand, zu seiner Brust. Wir
zogen uns an und gingen hinaus, von dem Verlangen getrieben, diese Stille
auszukosten, diese Nacht, die sich dehnte wie ein langer Vorabend.
    Die Morgendämmerung
kam mit ihrem Dunkelblau aus der Finsternis, und die Nacht zog sich zurück. An
der Kaffeebar ging der Rollladen hoch. Die Leute vom Markt begannen, um die Stände
zu wuseln. Ich fühlte mich wie in den Ferien, wie auf einem Ausflug. Wir
warteten darauf, dass das Labor öffnete, gingen in die Bar, warteten, bis sich
die Kaffeemaschine halbwegs erwärmte.
    Ich schob den Ärmel
meines Pullovers hoch, man schnürte mir ein Gummiband um den Arm, ich wandte
den Blick ab, um nicht zu sehen, wie die Spritze das Blut aufsog.
    Die ersten Frauen
kurvten mit ihren Einkaufswagen zwischen den Ständen herum. Wir gingen Arm in
Arm, mit diesem Geheimnis, das in uns weidete.
    »Wollen wir etwas
einkaufen? Ein bisschen Broccoli?«
    Es war eine schöne,
grüne Kiste mit frisch geernteten, taubenetzten Früchten.
    »Ja, gut, nehmen wir
von dem Broccoli.«
    Und noch ein paar
Bananen, und ein Bund Radieschen. Wir zogen uns in unsere vier Wände zurück.
Mittags dünstete Diego die Broccoli, wir aßen sie direkt aus der Pfanne, ich
eine Gabel, er eine Gabel, Brotstückchen eintunkend, die sofort grün wurden.
    Später ging Diego
noch einmal ins Labor, um die Ergebnisse abzuholen.
    Ich wartete am
Fenster auf ihn, im Slip und in einem seiner Pullover. Er schaute hoch und
wedelte mit dem Umschlag. Er lächelte mit diesem Mund voller junger Zähne.
    Ich rief meine
Gynäkologin an. Sie sagte mir, es sei alles in Ordnung, die HCG -Werte seien zwar etwas niedrig, aber
noch im Bereich des Normalen, da die Schwangerschaft ja gerade erst begonnen
habe.
    Tage in sattem
Frieden brachen an. Diego rief mich in einem fort in der Redaktion an, wollte
wissen, wie es mir gehe, ob ich etwas gegessen hätte, ob zu viele in meinem
Zimmer rauchten. Ich behielt meine Gewohnheiten bei, fuhr mit dem Motorroller,
aß im Stehen in der Bar.
    Diego legte sein Ohr
auf meinen Bauch. Nur das Ohr, denn er wollte nicht, dass sein Kopf zu schwer
für mich war. Er blieb in dieser etwas unbequemen, lehnenden Haltung und
horchte mit einem träumerischen, fast schon schwachsinnigen Gesicht.
    Als wir es meinen
Eltern sagten, brachten sie kein Wort heraus. Ich sah, wie sich ihre Augen
veränderten, wie sie sanft und weich wurden, unwillkürlich suchte mein Vater
die Hand meiner Mutter. Diese Geste hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Dann
sagte meine Mutter: »Wir dachten, dass ihr keine wolltet … dass du, Gemma,
keine wolltest.«
    »Und warum?«
    »Weil ich … so … viel
zu ängstlich war«, sagte sie.
    Mein Vater hörte auf
zu rauchen und begann mit dem morgendlichen Lauftraining. Er erschien im
Jogginganzug, um Diego abzuholen, der ihm schlaff und verschlafen folgte, mit
einem Paar alter Superga-Schuhe, die nicht einmal Schnürsenkel hatten.
    Mir kam es vor wie
ein Wunder, in der Reglosigkeit meines Körpers diesen Sturm von Zellen zu
empfangen. Es war, als hätte ich die ganze Welt verschlungen. Ich ging
plötzlich langsamer, eingetaucht in einen weichen Lagunenwald, in dem sich das
Leben verzweigte, versunken wie albinotische Wurzeln in der Stille eines
Sumpfes. In der Redaktion störte mich der Lärm, das permanente Klingeln der
Telefone, die Kollegen, die auf einmal zu laut sprachen und alle viel zu
aufgeregt zu sein schienen. Ich saß leise

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