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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Ängstlich, wie ich
bin, engstirnig und eingezwängt in meine Wolljäckchen, in meine kümmerlichen
Schritte.
    Ich
denke, dass du auf eine Art duftest, die mir immer gefallen wird.
    Wir lieben uns in
unserem Bett. Und zum ersten Mal nach Monaten kehrt die Hoffnung zu uns zurück,
mit ihrem kleinen Sehnen, mit ihrer flitzenden Zunge. Sie leckt und reinigt.
    Das Kind sehe ich
mehrmals, immer dieses, immer dasselbe. Trotzdem kann ich mich nicht an sein
Gesicht erinnern, es taucht nie vollständig vor mir auf. Es sitzt reglos da, am
Ende eines Bahnhofs, seine Beinchen baumeln vom Holzgitter einer alten Bank
herab. Das Kind ist da hinten, wie ein kleiner Eisenbahner mit seiner Laterne
im Nebel, der den Zügen bedeutet, abzufahren, sich zu beeilen.
    Auch wir fuhren ab,
nach Paris. Im Centre National de la Photographie gab es eine Ausstellung der
Werke von Josef Koudelka, die Diego besuchen wollte. Wir sahen uns den Vogel
an, der mit dem Kopf nach unten an einem Draht hängt, und den Engel auf dem
Fahrrad. Betäubt kamen wir heraus, schweigend. Am Beaubourg kehrten wir ein und
aßen im Freien Œufs à
la neige ,
während wir die große digitale Uhr beobachteten, die anzeigte, wie viel
Sekunden uns noch von Neujahr 2000 trennten. Die Fotos von den umherziehenden
Zigeunern hatten uns Lust gemacht, alles hinzuwerfen, Rom zu verlassen und auf
Reisen zu gehen. Dieser Gedanke nagte immer mal wieder in uns. Welchen Sinn hatte
es denn, in Rom zu leben, einer Stadt, in der wir eigentlich keine Freunde
hatten und in der wir, um uns überhaupt zu spüren, zu dem dreckigen Fluss
hinuntergehen mussten, der uns der einzige noch lebende Muskel zu sein schien?
    Auf dem Rückweg
kaufte ich am Flughafen einen Schwangerschaftstest. Diego sagte ich nichts, ich
ging weg und kam mit einem Päckchen Kaugummi und einem Röhrchen französischem Aspirin
wieder. Ich schob den Gedanken beiseite. Ich öffnete den Koffer und stopfte die
Schmutzwäsche in die Waschmaschine. Ich ließ den Test bis zum Abend in meiner
Handtasche, bis ich ihn wirklich vergessen hatte.
    Ich wartete auf die
nächtliche Stille der Wohnung, auf die sich leerenden Straßen. Entfernte
Stimmen von Leuten, die aus dem Restaurant kamen und nun schwatzend an einem
parkenden Auto standen. Ich ging ins Bad und hielt den Stick unter den
Urinstrahl. Schloss die Kappe und ließ den Stick auf dem Rand der Badewanne
liegen. Ich wartete, ohne ihn anzuschauen. Ich schminkte mich ab, putzte mir
die Zähne. Drehte mich um und schaute nach. Ich war wieder schwanger.
    Es war eine kalte
Freude. Inzwischen hatte ich Erfahrung, kannte ich die fälligen Untersuchungen,
die Bedeutung der Hormonwerte, inzwischen konnte ich meinen Zustand mit wissenschaftlichem
Auge betrachten. Ich wollte mich nicht in mich selbst versenken. Die Stimme
jenes Bedürfnisses wurde allmählich zu stark.
    Wir erzählten es
niemandem. Tagelang gingen wir mit dieser still in der Verknotung unserer Hände
liegenden Erwartung umher. Wir taten so, als lebten wir.
    Die erste
Hormonanalyse war in Ordnung.
    Wir warteten auf die
Ultraschalluntersuchung. Dann gingen wir hin. Es gab keinen Herzschlag. Die
Sonde suchte ihn vergeblich, fest auf mein Fleisch gepresst. Der Raum blieb
dunkel, ohne jedes Herz.
    Der Arzt knipste das
Spotlight auf seinem Schreibtisch an und griff nach seinen Unterlagen, nach
seinem Stift.
    »Vielleicht ist es
noch zu früh, vielleicht haben Sie sich im Datum der Empfängnis geirrt.«
    Wir hatten uns nicht
geirrt, wir hatten danach nicht mehr miteinander geschlafen, um diese Zellen
nicht zu stören.
    Apathisch kam ich
nach Hause. Ich warf mich aufs Bett, zog mir die Decken über den Kopf und
verkroch mich in der Dunkelheit.
    Ich
will schlafen, lass mich schlafen.
    Ich schleuderte die
Schuhe weg und riss mir die Sachen vom Leib. Ihr könnt mich mal, ihr könnt mich
alle mal. Noch ein blindes Ei, noch ein verkümmerter Embryo, noch eine Spinne
ohne Herz. Ich musterte die Ritzen des alten Parketts, wo nur hielt sich dieses
Unglück versteckt?
    Diesmal kam ich um
die Ausschabung nicht herum.
    Diego begleitete mich
bis zur Milchglastür, er lief neben der Liege her, ohne ein einziges Mal meine
Hand loszulassen.
    Ich war abgeklärter,
hatte das Unrecht akzeptiert. Diego war blass, sprach zu laut und riss Witze
mit dem Krankenpfleger, der mich transportierte.
    »Ich warte auf dich,
meine Kleine, ich bin hier, ich geh nicht weg, ich bin hier.«
    Er strich mir übers
Haar, mit einer schweren, festen Hand. Sah mich zu

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