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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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gehen. »Gilachen«, nannte mein Vater jetzt seine Eroberung. Gila wechselte vor unseren Augen die Bluse, sie genierte sich nicht. Stieg von einer frosch- oder echsengrünen Bluse in die andere, sie trug immer grüne Blusen, die schimmerten. Von Büstenhaltern hielt sie nichts. Ihre Brustwarzen waren merkwürdig abgeplattet, Joachim meinte, wie mit der Kneifzange abgekniffen.
    Manchmal stellte Gila Fragen. »Was bastelst du da? Flugmodelle? Ich dachte, du hast aufgehört, seit ich dir gesagt habe, daß Ali den Spannlackgestank nicht verträgt.«
    Zu Joachim sagte sie: »Achim Pommrehnke, der Kinobesitzer. Parbleu!«
    Oder ähnliches, sie hielt sich für höflich, nehme ich an. Wir, zum Voyeurtum verurteilt, ohne zu wissen, was das war, hatten sie – Originalton Joachim – «ganz schön auf der Latte«. Nicht, daß Gila-Monster uns Zeit stahl oder unserem Vater, die er sonst uns zugewendet hätte. Er lag weniger in seinem Bett und mehr im Forsthausbett, das war der ganze Unterschied. Und die Frau, mit der er das Bett teilte, war eine andere.
    Eigentlich verdrängten wir unsere Beobachtungen. Ein Vater tat so was nicht, dies war unsere Überzeugung. Was wir sahen, fand nicht statt. Oder fand statt wie hinter einer Glasscheibe. Die handelnden Personen kannten wir nicht.
    Daneben, obwohl wir sie haßten, regte Gila-Monster uns auf. Zwar lief in unserem Programm ein Film »Wege zu Kraft und Schönheit«, der Verleih verkaufte ihn mit der Werbezeile: »Film-Hymne an den Körperkult«. In dem Film gab es viele Nacktszenen, und wenn wir ihn vorführten, saß die halbe Vorortbevölkerung im Saal. Aber dies hier war anders. Gilas Blusenwechsel im Stall ließ mich nicht gleichgültig.
    »Wann bekommt Anneli Reitunterricht?« fragte schließlich Tante Deli.
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Die Kracke läuft noch nicht richtig. Bald, bald.«
    Diesmal hatte Anneli gehört, worum es ging. Von der Treppe her zeigte sie den Erwachsenen einen Vogel. Tante Deli sah das, schwieg jedoch.
    Die Schlafzimmertüren der Erwachsenen blieben jetzt verschlossen. Kein Lichtstrahl fiel mehr auf den Korridor.
    Und niemand erwähnte mehr das Marmorpalais.

10
    Manchmal war der Gemeindepfarrer gekommen in der Hoffnung, daß seine Schäfchen sich so zahm erwiesen wie Lauras Klöterlämmchen und in die Kirche trabten. Doch die Zeiten waren gegen diesen Menschen, der Blicke durch eine goldumränderte Brille abwechselnd auf uns, die wir im Sündenpfuhl der Gaststätte verharrten, und auf Gott richtete: Gott war oben. Im Zweifelsfall zeigten die Augen des Pfarrers viel Weiß wie bei jemandem, der einschlafen will und noch die Lider offenhält.
    Gott lebte bei uns in den Blumen und Pflanzen, so stand es in den von Mathilde Ludendorff herausgegebenen Zeitschriften, die Tante Deli im Abonnement hielt. Sie lagen zuhauf über den Tisch im sogenannten Eßzimmer verstreut. Ich blätterte darin und fand, daß die Verfasser gegen den vom Goldbrillenpfarrer propagierten Gott, gegen die Nazis und gegen die Juden waren kurzum, gegen so ziemlich alles, mit Ausnahme der Husaren und der Schützen, die genossen einen Freiraum, indem sie nicht abgekanzelt wurden.
    Doch mußte man sich, wie unser Vater sagte, nach der Decke strecken. Ich erinnere mich, daß wir gelegentlich den Konfirmandenunterricht besucht hatten. Wir hatten Karl-May-Bände in schwarzes Papier eingeschlagen, sie sahen wie Gesangbücher aus, und während des Unterrichts lasen wir, wie Winnetou am Komantschen-Marterpfahl litt.
    Trotzdem brachten wir es auf zwei Konfirmationen. Einmal wurde mein Bruder gefeiert, im dunklen Anzug, er betrank sich und kotzte auf das Büfett. Jahre später fand Annelis Konfirmation statt, eine Feier, von der mir Tante Delis tränenumflorter Blick in Erinnerung ist. Meine eigene Konfirmierung fiel aus, weil ich eine Halsentzündung bekam. Damals grassierte Diphterie, Kinder starben daran, es schien möglich, daß meine Angina in Diphterie überging.
    Sie tat es nicht, aber ich war bettlägerig, mit hohem Fieberund versank in wohltuende Verantwortungslosigkeit. So bekam ich von jenem Pfarrer eine Urkunde, mit Dürers »Ritter, Tod und Teufel« darauf und einem Spruch, den ich vergessen habe, zugeschickt. Ich war fernkonfirmiert. Viele Kinder wiesen diese Urkunde mit dem Bild von Dürer vor, es war in hoher Auflage hergestellt.
    Mit dem Fortschreiten der völkischen Gesinnung blieb der Pfarrer weg. Statt dessen kam ein Mensch mit wehendem weißen Bart und Sandalen. Der Bart

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