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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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eigentlich vermied er jede Art von Berührung, aktiv oder passiv. Ich glaube, er litt, wenn wir zu dritt im Bett lagen und er zu allem anderen, unserer Nähe zu Annelis Körper, Malzbier schlürfen mußte.
    Jetzt zerrte er an meiner Jacke. »Man sollte nur erstklassige Filme zeigen«, sagte er. »›Gösta Berling«. Was für ein Stummfilm. Der Ton macht den Film nicht besser. Eines Tages wird es ein Kino geben, hier in Berlin, das nur diese wunderbaren alten Filme zeigt.«
    Plötzlich ließ er meine Jacke los. »Es wird mein Kino sein«, sagte er.
    Die ersten Mickymaus-Filme kamen aus Amerika. Alle Kinder liebten sie, wir mußten sie bei jedem jugendfreien Film als Vorprogramm zeigen. Sie liefen noch stumm bei uns, als andere Kinos längst Ton hatten.
    Werner machte Geld mit seinem Lied vom Bier auf dem Klavier. Eine Schallplatte wurde gepreßt, wir spielten sie auf dem alten Grammophon, nachdem Joachim eingefallen war, daß die Kurbel, die wir eine Stunde lang vergeblich gesucht hatten, an einem seiner selbstgebastelten Apparate steckte. Werner lehnte sich an das Grammophon und setzte die Nadel auf. Er schnitt ein Gesicht, als höre er zum ersten Mal das Stück eines genialen Komponisten, der nichts mit ihm, dem unauffälligen Werner, zu tun hatte. Als die Platte zu Ende war, applaudierten wir. Werner applaudierte mit.
    Anschließend fand wieder eine der mir verhaßten Filmbesprechungen statt, von meinem Vater mit dem Ruf »Ruhe im Beritt!« eingeleitet. Wir saßen im kleinen Saal, der inzwischen, mangels Filmvorstellungen mit der kleinen Apparatur, wieder als Hinterzimmer eingerichtet war, mit Tischen und einem altdeutschen Büfett, das, mit Zinnen bewehrt, wie ein Teil der Wartburg aussah. Es war jenes Möbelstück, auf das Joachim bei seiner Konfirmationsfeier erbrochen hatte.
    Niemand erwartete, daß ich mich zu den Kinoplänen äußerte. Aber alle erwarteten, daß ich dabeisaß. Ich war heute ungeduldig. Die Mitglieder der Modellbau-Gruppe hatten sich angesagt, wir wollten im Stall arbeiten. Da Gila-Monster, wie ich erfahren hatte, heute nicht zum Reiten kam, bestand Gelegenheit, in der Werkstatt mit Spannlack zu arbeiten. Die Pferde beschwerten sich nicht.
    Vom offenen Fenster her hörte ich, wie die Kronen der alten Bäume im Park rauschten. Ihre Blätter bewegten sich und ließen Sonnenstrahlen hindurch. Die Sonnenstrahlen malten auf der Tapete an der gegenüberliegenden Wand Muster. Sie bildeten sich, zerflossen, bildeten sich wieder. Manchmal liefen sie als Wellenbewegung von der oberen Tapetenkante zur unteren. Ich hörte wie aus der Ferne Werner reden: »Die musikalischeUntermalung müssen wir auf eine neue Basis stellen. Klavier ist romantisch, klar. Aber in all den anderen Flohkinos spielen sie Schallplatten oder haben lebende Musiker.«
    »Bist du kein lebender Musiker?« fragte Sternchen.
    Werner Spiehr trank seine Molle mit einem Zug aus und rief zu Robinson Krause in den Schankraum hinüber, er solle ihm eine neue bringen. »Klar. Vielen Dank«, sagte Werner. »Natürlich bin ich ein lebender Musiker. Aber die Leute sind anderes gewöhnt. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« Er blickte im Kreis umher, und seine rote dicke Nase leuchtete. »Ich habe eine Idee«, sagte er, »aber die Sache ist noch nicht durchgereift. Ich werde euch Näheres wissen lassen.«
    »Perfekt«, sagte mein Vater. »Welche Gnade.«
    Sie kamen dann aufs Programm zu sprechen. Und draußen rauschten die alten Bäume und erzählten ihre Geschichte …
    Auf einmal hatte ich den Eindruck, ich müßte etwas sagen. »Darf ich mal… ein paar Worte … «, sagte ich. Alle sahen mich erstaunt an. »Ich weiß nicht«, stotterte ich, »aber ich habe ein paar Ideen für das Matinee-Programm an den Sonntagen.«
    »Hört, hört!«
    »Achtung, der Taubstummenverein!«
    Ich ließ mich nicht entmutigen, heute wundere ich mich, daß ich an jenem Tag wagte, weiterzusprechen. Ich hatte aber, auf Grund meines Interesses für die Fliegerei, in den Kinos der Innenstadt alle möglichen Kulturfilme gesehen – »Berlin, die Symphonie einer Großstadt«, »Pamir, das Dach der Welt« und ähnliches. Ich hatte mir gedacht, daß solche Filme den Menschen hier draußen gefallen müßten, wenn sie sonntags mit ihren Familien kamen. Für solche Fälle würden sie möglicherweise sogar von den umliegenden Dörfern heranreisen, viele hatten Bahnverbindung. Also schlug ich vor, daß wir solche Filme zeigen sollten.
    Joachim sah mich erstaunt an. Nicht so

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