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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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wehte auch, wenn sich kein Lufthauch regte, ein faszinierendes Phänomen. Dieser Mensch unterhielt sich stundenlang mit Tante Deli, sie wischte sich den Lippenstift ab, sobald er das Lokal betrat.
    Eines Tages wurde in Annelis Schule die christliche Weihnachtsfeier – einmal hatte sie beim Krippenspiel Maria dargestellt – durch Julklapp ersetzt, im altgermanischen Stil. Allzuviel erfuhren wir darüber nicht, denn Anneli war wütend. Sie hatte einen Arsch mit Ohren geschenkt bekommen – von wem, bekam sie nicht heraus –, eine Kleinplastik aus gebranntem Ton, der eben dies darstellte. Wir lachten. Anneli heulte. Der Arsch mit Ohren wurde aufs Regal hinter der Theke gestellt. Manchmal, wenn mein Vater auf einen der Stammgäste wütend war, nahm er das Ding vom Regal und plazierte es auf dem Tisch vor dem Betreffenden.
    Einmal, erinnere ich mich, erhielt Schönicke den Wanderpreis. Er hatte es sich angewöhnt, sein grünes Hütchen auf den Tisch in die Bierpfützen zu legen. Dort wirkte es, mit seinem durchschwitzten Rand, wie ein Geschwür kurz vor dem Aufgehen. Schönicke gab den A.m.O., wie das Ding abgekürzt bei uns hieß, zurück, entschuldigte sich und bezahlte eine Lage. Geschah die A.m.O.-Überreichung in Annelis Gegenwart, verließ sie die Gaststube.
    Einmal murmelte Tante Deli, zu meinem Vater gewandt: »Das Ding sollten sie dir überreichen. Herrenreiter und Husar. Daß ich nicht lache.«
    Wir registrierten solche Ausbrüche, die auf weiterbestehende Gemeinsamkeiten zwischen Gila-Monster und unserem Vaterhindeuteten, dachten uns jedoch nichts weiter dabei. Diese Umtriebe der Erwachsenen waren in kein Denksystem einzuordnen, das wir beherrschten. Niemand hatte uns mit Vergleichsschablonen ausgestattet, die Eltern nicht und die Schule nicht.
    So träumte ich jetzt davon, mich der Hitlerjugend anzuschließen. Hitlerjungs betätigten sich als Segelflieger, ich hatte einen Film darüber gesehen. Neuerdings gab es den Motorschlepp. Das Flugzeug wurde mittels einer Winde hochgezogen. Das Seil lief über eine Trommel, die statt des Antriebsrades auf die Hinterachse eines Autos montiert wurde. Das Auto bockten sie hoch, der dritte Gang wurde eingelegt, und das Seil wickelte sich auf. In einer bestimmten Flughöhe klinkte der Pilot des Segelflugzeugs das Seil aus.
    Zwar hatte ich mich in der Schule einer Flugmodellbau-Gruppe angeschlossen, doch war Fliegen mein eigentlicher Traum. Nach dem Abitur wollte ich mich freiwillig melden, die ersten Flugstaffeln entstanden, trotz Versailler Vertrags. Es hieß, Piloten würden heimlich in Rußland ausgebildet.
    Bedeutende Ereignisse, den Fortschritt der Fliegerei betreffend, hielten mich in Atem. Lindbergh war von Amerika über den Ozean geflogen, wir sahen ihn in der Wochenschau. In umgekehrter Richtung bezwangen Köhl, Fitzmaurice und von Hünefeld das große Wasser. »Ein Kontinent rückt näher«, hieß es aus diesem Anlaß in Zeitungen und Wochenschauen. Manche Szenen konnte man jetzt auf Sechzehn-Millimeter-Amateurfilm bekommen, die Zeit der schweren Fünfunddreißiger-Spulen schien fürs Heimkino vorbei.
    Kapitän Nobile startete zum Nordpol, und Hugo Eckener kreiste mit seinem Luftschiff über Berlin. Wir wollten Zeppelin, dem Hund, zeigen, daß dort oben der richtige Zeppelin flog, aber Hund Zeppelin riskierte einen einzigen Blick und trabte dann in den Stall. Dort, neben den Pferden, war jetzt sein Lieblingsplatz. Er lag auf einem Bündel Stroh, mit geschlossenen Augen. Allenfalls öffnete er sie, wenn ein Pferd Äpfel fallen ließ. Unter Vaters Bett lag Zeppelin nie mehr. Er hatte es auchaufgegeben, hinter den Reitern her in den Wald zu traben. Schließlich endeten solche Ausflüge damit, daß er vor dem Forsthaus auf den Hinterkeulen saß und wartete.
    Feststand: Gila-Monsters Gegenwart lockerte den Familienverband.
    Indirekt war Zeppelin das erste Opfer. Eines Morgens, als mein Vater in den Stall ging und die Pferde füttern wollte, fand er Zeppelin tot auf dem Stroh liegen. Anneli und ich kamen aus der Schule, und der Hund war nicht mehr da. »Zellepin«, rief Anneli. Sie rannte zum Stall, da war er nicht. Sie schaute in den großen Saal, rannte in den Garten, rief nach ihm.
    Der Hund war begraben worden, bevor Anneli aus der Schule kam, sie wollten ihr den Schmerz ersparen. Joachim flüsterte mir zu, daß sie den Hund in eine Decke gewickelt und am Ende der Wiese vergraben hätten.
    »Ihr laßt Anneli draußen herumrennen, und keiner sagt ein Wort?« sagte

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