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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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ausnahmsweise aufs Haus«, sagte er.
    Durch meine Arbeit bei Flug-Wuttke bekam ich vieles nicht mit. Abends war ich froh, wenn ich mein Essen runtergeschlungen hatte und ins Bett gehen konnte. Von Oma stammten die mit feinstem Gänseflaum gefüllten Kissen, die prallen Federbetten, das wärmende Unterbett. Heutzutage schlafen die Menschen wie in der Anatomie. Die Zeit der wirklichen Betten wird nicht wiederkehren, nie mehr erholsamer Schlaf zwischen Eiderdaunen den Müden erfrischen.
    Ich lag da, dachte nach. Anneli schleppte das Grammophon heran, wir hörten Platten. »Joachim hat Schiß vorm Tonfilm«, sagte sie, »ein Prometheus kostet zweihundertfünfzigtausend Dollar.«
    »Projektor?« fragte ich.
    »So heißt det Ding wohl«, sagte Anneli. »Der Ton ist an den Film drangeklebt, hat mir Joachim erklärt. Er braucht einen anderen Apparat, sonst hört man nichts. In der Stadt ist jetzt vordem Film immer ›Fox tönende Wochenschau‹. Lindbergh hat geredet, als er gelandet war nach seinem Ozeanflug, und man hat die Propeller gehört, ich meine, den Motor. Nicht von ihm, von seinem Flugzeug, das heißt ›Sprit von Sankt Louis‹.«
    »Spirit«, sagte ich, »mit i.«
    »Mit zwei i«, sagte Anneli.
    »Die SA läßt durch den dämlichen Hannemann jede Woche fragen, wie es mit dem Schießstand ist. Er sagt, das Schützenhaus Spandau ist fest in der Hand der SA. Eine Keimzelle, sagt Hannemann. Euer Vater hat mit dem alten Warnicke gesprochen, ob er mitmacht, aber der hat gesagt, er denkt nicht dran, und die SA kann ihm den Hobel blasen. Außerdem glaubt er nicht, daß Hitler siegt. Meine Mutter sagt, sie aber glaubt, daß Hitler eine Chance hat, er ist ein Mann, der auf Frauen wirkt. Bitte, das hat meine Mutter gesagt. Ich weiß nicht, ob er auf Frauen wirkt. Auf mich wirkt er nicht. Hitler ist nämlich nicht mein Typ. Trotzdem ist BDM prima, glaube ich. Die machen Heimatabende.«
    »Geh hin«, sagte ich.
    »Nietschewo. Unsere Klasse ist gespalten. Ich warte ab. Wie findest du Hitler?«
    »Weiß nicht. Wenn mein Vater sagt, er gewinnt die Wahlen nicht, dann stimmt das.«
    »Dein Vater weiß nicht alles.«
    »Ich vertraue ihm.«
    Anneli nuddelte das Grammophon auf. »Es wird alles anders«, sagte sie. »Du und Joachim, ihr seid groß. Richtige Männer, ja. Und Deutschland erwacht, steht im ›Angriff‹. Tango?«
    Ich nickte.
    »Ein spanischer Tango
und ein Mädel wie du …«

12
    Der Jasmin blühte spät in diesem Jahr, der Flieder früh. Betäubend mischten sich beide Düfte, wenn die Fenster offenstanden, und verdrängten den schalen Kneipengeruch. Bierfahrer Hubert, Vater des nun der Bewegung angehörenden Hannemann, und Joachim saßen nebeneinander am Tisch, ich gegenüber. Hubert malte, indem er den Flüssigkeitsvorrat einer Bierpfütze benutzte, mit dem Finger die Umrisse eines Eisenbahnwagens aufs Holz. »Es handelt sich um einen Waggon«, erklärte er Joachim, »wie sie bis vor kurzem bei der S-Bahn liefen. Die Reichsbahn hat die ältesten ausgesondert, aber natürlich sind sie gut erhalten. Du solltest einen nehmen, der früher vierter Klasse rollte, die haben größere Abteile und nicht so viele Klosetts. Die Klosetts kannste sowieso nicht benutzen. Du wirst Eichelkrauts Kunde.«
    Mein Vater trat an den Tisch. »Ich höre Eichelkraut«, sagte er. »Das Schützenhaus ist an die Kanalisation angeschlossen, falls ihr das nicht bemerkt habt.«
    »Das Schützenhaus, aber nicht der Waggon«, sagte Joachim. Er rückte mit seinem Plan heraus: Hinten ans Ende der Wiese wollte er einen Bahnwaggon aufstellen und darin wohnen.
    »Hast du Töne«, sagte mein Vater. »Sind wir dir nicht mehr fein genug?«
    »Darum geht es nicht«, sagte Joachim. »Ich bin erwachsen und habe ein Recht zu wohnen, wie ich will.«
    »Wie du willst?« Mein Vater schnaufte. »Zwanzig Jahre hast du unter meinem Dach gelebt, an meinem Tisch gesessen, mein Essen verzehrt. Auf einmal ist dir alles nicht gut genug?« Er winkte ab, als Joachim etwas sagen wollte. »Halt die Klappe, jetzt rede ich. Das kommt nicht in Frage.«
    Wir warteten, ob noch etwas nachkäme. Aber mein Vater gehörte nicht zu den Monologisierern wie Tante Deli.
    »Setz dich her zu uns«, forderte Hubert ihn auf, »und trink einen. Sei vernünftig. Na, mach schon.«
    Mein Vater hatte beim Fässerrollen geholfen, trug eine grüne Schürze. Mit dem Schürzenzipfel wischte er über den Stuhl und nahm Platz. »Söhne«, schnaufte er. »Entartete Kinder.« Darauf Hubert: »Wen

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