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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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wir dazu: Groß-Berlin. Doch so weit wie New York war der Luxus von uns entfernt, den sie beschrieben. In »Neuyork«, wie jedermann hier Amerikas größteStadt nannte, geschah Absurdes. Schwarzer Freitag, Bankenkrach, für uns unbegreifbar. Trink, was klar ist! Für ein Bier und einen Kümmel war Geld übrig. »Die Menschen ertränken ihren Kummer«, stellte Tante Deli fest, wenn sie Kasse machte. Eine Vorstadtkneipe war ein krisensicherer Betrieb, auch das Kino war jeden Abend ausverkauft.
    An warmen Tagen, wenn die Fenster offenstanden, übertönte das Zwitschern der Spatzen jene Botschaften, die aus dem Lautsprecher unseres Radios quollen. Ich sah hinaus. Gila-Monster ritt auf einsamen Wegen. Eichelkraut beschwerte sich, daß Berenice nicht bewegt wurde. »Ihr könnt so wat dem Ferd nich antun«, grummelte er. »Wenn ihr det Ferd wärt, würde euch det jefallen? Immer im Stall, zweimal die Woche an de Longe und anjepflockt uff de Wiese. Meinste, det ist ein Leben für ein Ferd wie Berenice?« Er blickte meinen Vater an. »Dir versteh’ ick nich, Pommrehnke. Een oller Husar und kiekt zu, wie die Mähre dicke Knöcheln bekommt. Willste nich wieder reiten?«
    Tante Deli stand neben meinem Vater und errötete. Mein Vater sagte, er wolle lieber nicht, habe es sich abgewöhnt, zu alt.
    Anneli peeste mit Schallplatten vorbei. Sie schnappte auf, wovon sie redeten. Bremste, ein paar Platten fielen zu Boden. Damals waren es Schellackplatten, es schepperte, als sie zerbrachen. »Ich will reiten lernen«, sagte Anneli, während sie sich hinkniete und die Trümmer auflas. Tante Deli knurrte: »Es heißt, ich möchte.«
    »Bravo«, sagte Eichelkraut. »Det könnte ein Husarenkind sein.«
    Mein Vater retirierte in die Gaststube. »Wat denn, wat denn …«, murmelte er, »immer langsam mit die jungen Pferde.«
    Mein Vater nahm Anneli husarenmäßig ran. Die Stute bockte, stülpte ihre Rosette heraus und äpfelte. Im Lauf der ersten Unterrichtswoche verlor Berenice ein paar Pfund, und es machte allen Spaß. Gesattelt wurde nicht. »Erst, wenn du mit dem Pferd verwachsen bist«, sagte mein Vater, »kommt der Sattel rauf.«
    Es wurde Herbst. Anneli ritt mit Berenice in den nahen Wald. Sie ritt erst aus, wenn Gila-Monster ihren Ali wieder in den Stall geführt hatte. Nie sah man beide zusammen.
    Joachim und Sternchen bauten Hindernisse auf der Wiese. Anneli sprang. Zu Weihnachten bekam sie Reitstiefel. Ihr zuliebe nahm Joachim die Fridericus-Rex-Filme mit Otto Gebühr ins Programm auf, »weil der so dufte auf seinem Schimmel reitet«.
    Für alle Ewigkeit, dachte ich, würde unser Leben so verlaufen. Gila-Monster ritt und glich einem Geist zu Pferde. Niemals mehr kam sie ins Gastzimmer, sie wechselte kein Wort mit meinem Vater. Gab es etwas zu besprechen, wartete sie, bis sie Sternchen oder Werner erwischte. Sie hatte jetzt einen gewissen Zug um den Mund, so jedenfalls drückte Tante Deli sich aus, und ein Triumph lag in ihrer Stimme. Mein Vater legte sich dann sofort ins Bett.
    Er lag auch im Bett, als ich das Abitur machte. »So, so«, sagte er. »Zeig das Zeugnis.«
    Ich zeigte es. Er sah sich die Zensuren an. »Nicht doll«, sagte er. »Wat nu?«
    Ich sagte ihm, daß ich mit dem Chef von Flug-Wuttke gesprochen hätte. Die verkauften alles, was für den Flugmodellbau benötigt wurde. Der Flugmodellbau sei im Kommen, sagte ich, die Luftwaffe erstehe wieder. Flugmodellbau für die Jugend sei unerläßlich.
    Wahrscheinlich war mein Vater enttäuscht, daß ich nicht über Studienpläne sprach. Insgeheim, bin ich sicher, hatte er gehofft, daß ich, nachdem Joachim ausgeschieden war, zum ersten Akademiker der Familie Pommrehnke heranreifen würde. Nun war es Essig damit. Vater mochte sich fragen, ob seine Söhne etwas taugten. Aber er schwieg. Machte nicht einmal davon Gebrauch, uns durch Tante Deli seine Meinung zu vermitteln.
    »Schweigen auf der ganzen Linie«, sagte Joachim zu mir. »Dann nimm man deine Ungeheuerlichkeiten« – er zeigte auf die Trümmer meiner Flugmaschine und auf fertige Modelle, die im Stall von der Decke hingen –, »nimm den Klumpatsch undziehe hin in Frieden. Ich jedenfalls wünsche dir eine brillante Zukunft als Aeronaut.«
    Den Klumpatsch nahm ich nicht mit. Eine Woche später schnüffelte ich Spannlack, von morgens um acht bis nachmittags sechs Uhr dreißig, an Sonnabenden bis ein Uhr. »Du stinkst«, stellte Anneli fest. Dabei roch sie nach Pferd.
    »Die Fahne führt uns – in die E-he-wigkeit –
ja,

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