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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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gottlos, bis auf Tante Deli, die auf ihren Kräuterapostel hereingefallen war. Auf ihrem Nachttisch lag »Des Kindes Seele und der Eltern Amt« von Mathilde Ludendorff.
    Zu spät. Nicht einmal Anneli war mehr Kind. In ihrem Reitdreß radelte sie zur Schule, bis man es ihr verbot. Sie nahm es lächelnd hin, ging aus der letzten Klasse ab.
    »Kein Abitur?« fragte mein Vater. Anneli schüttelte den Kopf. Tante Deli hielt ihr vor, was sie aufgab, aber Anneli besaß die Gabe des sichtbar oberflächlichen Zuhörens, so daß ihre Mutter schnell verstummte. Sie verstummte, wie ein Wasserrinnsal im Sand versiegt, oft genug hatten wir das mittels gefüllter Gießkanne dargestellt im märkischen Sand. Das Wassergrub seine Spur bis zu einem bestimmten Punkt. Der Sand verschluckte es hinter diesem Punkt, der sich nur durch Zufuhr weiterer Wassermengen hinausschieben ließ.
    Zu mir sagte Anneli: »In dem Gutshof bei unserer früheren Wohnung etabliert sich ein Reiterverein. Ich glaube, da mache ich mit.«
    Sie ritt bereits auf kleineren Turnieren. Doch war Berenice kein ideales Sprungpferd, die Hinterhand sei zu flach, sagte Anneli. Die Husaren gaben ihr recht.
    Flug-Wuttkes Juniorchef, Segelflieger, drei Schwingen am Revers seiner Sportjacke, förderte mich. Er meinte, als Abiturient könne ich nach anderthalb Jahren die Lehrlingsprüfung ablegen. Er zog mich beim Einkauf hinzu, machte mich auf neueste Entwicklungen aufmerksam. Die Firma arbeitete mit der Technischen Hochschule und dem Materialprüfungsamt zusammen. Es ging um die Entwicklung neuer Tragflächenprofile, wie ich bald herausbekam, für Motorflugzeuge.
    Trotz dieses neuen Interessenkreises merkte ich, wie sehr ich an meinem Bruder und seinen Kintopp-Plänen hing. Joachim faszinierte mich durch seine Unbeirrbarkeit. Das Kino lief gut, Geld stand zur Verfügung.
    Joachim erfand die Festivals. Eine Woche lang zeigte er Filme eines bestimmten Regisseurs. Ein andermal kamen die Fridericus-Schnulzen dran. Manchmal verschreckte er das Vorstadtpublikum. So, als er sich mit dem Prometheus-Verleih verbündete, später mit einer Firma, die sich »Weltfilm GmbH« nannte. »Hunger in Waldenburg« lief zwei Tage, dann verbot die Zensur den Film. Joachim führte »Panzerkreuzer Potemkin« auf. Werner griff, für die Kinoorgel, tief in die klassische Kiste: viel Beethoven.
    Die Zuschauer blieben weg, solche Filme mochten sie nicht. Lehmann meinte, wenn man mit Sicherheit das Kino ruinieren wolle, so solle Joachim nur mit solchen Festivals fortfahren.
    Joachim konterte: »Dies ist, wenigstens zum größten Teil, ein Proletariervorort, mit Laubenkolonie. In Deutschland gibt es sechs Millionen Arbeitslose. Wenn jeder von ihnen nurzwanzigmal im Jahr ins Kino geht, also rund alle zwei Wochen, dann macht das hundertzwanzig Millionen Besucher.« Er holte eine Statistik heraus, nach der im letzten Jahr insgesamt zweihundert Millionen Kinobesucher in die Lichtspieltheater geströmt waren. »Sie geben das Geld genauso für die Illusion aus, für das Kino, wie für Bier und Schnaps«, dozierte er weiter. »Weshalb sollten sie sich nicht ›Kuhle Wampe‹ ansehen?«
    »Weil«, sagte Lehmann, »solche Filme von der Armut handeln. Die haben sie zu Hause. Merkst du nicht, daß die Menschen im Kino Vergessen suchen?«
    Kitty brach ihr Schweigen und sagte: »Vergessen, jawohl«
    Joachim zeigte Einsicht. Als nächstes Festival liefen bei uns Adele-Sandrock-Filme, vor ausverkauftem Haus.
    Trotzdem war Joachim unzufrieden. »Wenn wir nur Mist über die Leinwand flimmern lassen«, sagte er, »erfüllt das Kino seine Aufgabe nicht. Ich finde, es hat eine erzieherische Aufgabe. Die Leute nehmen doch nicht etwa an, daß dieses Salongetue bekannter Darsteller die Welt ist?«
    Sie nahmen es aber an. Oder jedenfalls, sie wollten das sehen. Es machte ihnen Spaß, wenn Harry Piel seinen Kopf in einen Löwenrachen steckte. »Eines Tages«, murmelte Joachim, »führe ich ihnen den gesamten Napoleon von Abel Gance vor. Auf drei Leinwänden. Wie sich Gance das gedacht hat.«
    Seine Worte sagten uns wenig. Doch wir merkten, wie fanatisch er an den Film als Kunstwerk glaubte.
    Er war ein Fanatiker. Packte das Leben an, während unseres dahinglitt.
    Ich liebte ihn dafür.
    Es wurde Herbst, bis der Waggon von der Reichsbahn geliefert wurde. Da stand er nun, unter fast kahlen Bäumen, in aufdringlichem Grün. Die Farben der Natur verblichen, Joachims neues Heim leuchtete. Innen blieb der Eindruck erhalten, sich in

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