Das Schützenhaus
meinste?« Mein Vater: »Kuck ihn dir an, den Kinobesitzer. Wer hat ihm geholfen? Wer hat immer wieder Geld in den Kintopp gesteckt? Und dein Hannemann paßt mir auch nicht!«
Mein Vater sah Hubert an, mit preußischblauem Blick, seine Augen waren dunkel vor Zorn.
»Moment«, sagte Joachim. Aber mein Vater dröhnte: »Schweig! Laß mich erst mit Hubert reden. Die Sache möchte längst geklärt sein.«
Hubert staunte, wie er auf einmal das Objekt von Vaters Gereiztheit wurde.
»Dieser Stenz Hannemann«, fuhr mein Vater fort, »der sich rausnimmt, unser Mädchen zu vernaschen, der die Wand hinter seinem Stuhl mit Pomade beschmiert, dieser Saftarsch erdreistet sich … «
Hubert stand auf. »Erlaube mal, immerhin ist er mein Sohn. Wenn du ihn Saftarsch nennst… «
Mein Vater zog Hubert auf den Stuhl. »Entschuldige«, sagte er. »Ist mir rausgerutscht. Mich wurmt, daß er mit seinen SA-Rowdies anrückt und meint, das Schützenhaus gehöre ihm.«
Hubert nickte. »Verstehe ick«, sagte er. »Meinste, ick komme darüber weg? Was denkste, wie wütend meine Frau ist. Dein Bastard aus erster Liäsong, sagtse. Erste Liäsong! Haste so was gehört? Sie nennt ihn Bastard, du nennst ihn Saftarsch. Wat soll ick sagen? Det mir Hannemann Freude macht, mit die SA? Wie se marschiern? Für Hitler durch Nacht und durch Not oder wie det Changsong heeßt? Achim, zapp paar Bier, wir kommen auf dir zurück.«
Hubert setzte sich gerade hin, als habe er den Ladestock Hannemanns ausgeborgt und seinerseits verschluckt.
»Ick war im Sportpalast«, fuhr Hubert fort, »wegen Hannemann. Hannemann jing aus dienstlichen Jründen, ick wollte mir orjentieren. Wat is dran an den Nazis? Wat is dran, detihnen die Jugend hinterherläuft? Ja, und auch reife Menschen. Kuck dir um unter die Kameraden. Mancher trägt den Parteibonbon ans Revers, ick komme rum bei meine Bierfahrten. Einije tragen ihn noch untert Revers, aber ick kann mir ausrechnen, wann se damit jlänzen. Falls die nämlich die Wahl jewinnen … «
»Niemals«, rief mein Vater.
»Ick sage ja, falls. Also, ick im Sportpalast. Du kennst die Örtlichkeit ja vom Sechstagerennen. Ick dachte, werden een paar Parteipiesels dasein, weil der Führer reden soll. Wat soll ick dir sagen? Tausende. Die Bude knüppelvoll bis unters Dach. Überall SA mang, die Türen von SA bewacht. Sie kiekten mir dämlich an, ick schenierte mir, ick habe jesacht, meen Sohn hat Dienst, se rückten jleich beiseite. Uffn Podest vorn Dr. Goebbels, der is ihr Hauptmacker in Berlin. Schrie und kloppte mit sein’ Klumpfuß auf, se sollten ruhig sein, der Führer is soeben abjefahren, von wo, hat er nich jesagt. Se haben Marschmusik jeblasen, äußerst schneidig, jebe ick zu, obwohl, det olle Schalmeienjequäke dazwischen, det haben se von unsere Kommunisten übernommen. Von die Kommunisten hab’ ick keen’ jesehen, war ’ne hundertprozentige Naziveranstaltung. Wieder hat der Dr. Goebbels jeschrien, der Führer kommt jleich, alle brüllten ›Heil‹! Wie in ’ne jijantische Klapsmühle schien mir det, stell dir vor Plötzensee mal tausend.«
»Ich war noch nie in Plötzensee«, muffelte mein Vater.
Hubert blieb unbeirrt: »Ick aber. Wir liefern Bier nach die Klapsmühle. Wo war ick stehenjeblieben? Also, der Goebbels schreit, jleich kommt er, und dann springen alle uff, eine Jasse bildet sich, da kommt Hitler, hinter ihm allerlei Jefolje, alle in braune Uniformen. Der Hitler hebt immerzu seinen Arm und blickt um sich, alle heben de Arme, se spielen das Deutschlandlied, und se singen mit, und denn rufen se wieder ›Heil‹, und der Goebbels brüllt ›Mein Führer‹ und ›Wir sind anjetreten‹. Ick dachte, vielleicht kommt doch die Kommune, und et jibt ne anständije Saalschlacht, wie in de Frühzeit in de Pharussäle, da hatten se im Hinterzimmer jleich ’n Verbandsplatz. Tampsperdü, sag’ ick dir, det war ’ne Epoche, wo se Thälmann Milljohnen Stimmen jaben. Ex und vorbei. Det hier war ’n reiner Nazizirkus. Ick sage mir, Hubert, de bleibst, wenn de jetzt rausjehst, poliern se dir de Fresse, det hat keenen Zweck. Außerdem wollte ick rausfinden, wat meinen Hannemann bewejt.«
»Die Bewegung bewegt ihn«, brummte mein Vater.
Hubert sah ihn erstaunt an. »Exakt. Der Hitler hat jesprochen, auf wat sich det deutsche Volk besinnen müßte, und die Schuld von det internationale Judentum und die Schmachverträge von Versailles. Det war allet klar und deutlich. Ick kiekte mir um und sah, wie se alle mit
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