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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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die Blicke an Hitler hingen, wie wenn er son Messilias war oder ähnlichet.«
    »Messias«, korrigierte mein Vater.
    »Richtig. Messias. Mir war det Wort vorüberjehend entfallen.«
    Tante Deli kam aus der Küche. »Was berlinern Sie so, als wenn wir aufm Wedding wären?« rügte sie Hubert. »Wir bringen den Kindern bei, daß sie hochdeutsch sprechen, und Sie …«
    »Entschuldrichen Sie man«, sagte Hubert. »Die Pferde sind mitmich durchjejangen. Jrade berichte ich, wie der Hitler im Sportpalast jesprochen hat.«
    »Gehn Sie da hin?« fragte Tante Deli. »Ich denke, ich höre nicht recht. Ich denke, Sie sind Antinazi?«
    Hubert blickte sich um, als säßen SA-Spitzel an den Tischen, es war aber früher Nachmittag und niemand im Lokal.
    »Sie wissen, daß nicht… «, sagte Hubert.
    Mein Vater warf ein: »Er möchte Hannemann verstehen.«
    »Das möchte ich auch«, schimpfte Tante Deli, drehte sich um und ging wieder in die Küche.
    »Achim, hol mal ’n paar Mollen«, sagte Hubert. »Wo war ick stehenjeblieben? Jetzt habe ick vollkommen den Faden verloren. Is ejal. Verstehste, wat ick erklären will? Daß eine Verzinaziong von diesen Kerl ausjeht.«
    »Faszination«, sagte mein Vater.
    »Sage ick doch. Eine Fas… Fasz…, na, wie det heeßen mag.Er wickelt se sich alle um ’n Finger, und denn steckt er se in die Tasche. Se haben jejubelt, als wenn Schmeling ’nen Öpperkött uff Franze Dieners Kinnspitze plaziert hätte, aber det alle fünf Minuten. Der Jau Berlin steht fest hinter uns, mein Führer, hat der Jöbbels geschrien. Det möchte ick bezweifeln. Anscheinend jedoch war ick der einzije im Sportpalast, in det Riesending, der det bezweifelte. Alle andern schrien ja, ja, und denn sangen se wieder so ’n neuet Lied, wat se haben, seit der Horst Wessel umjekommen is. Det singen se im Stehen, de Arme hoch.«
    »Die Fahne hoch«, sagte mein Vater.
    »So heeßt det Lied«, sagte Hubert. »Ick meene, se sangen det und hielten de Arme hoch, jeder den rechten Arm, der Führer hielt ooch seinen rechten Arm hoch. Nur neben mir een Kriegsinvalide, der hatte keenen rechten Arm mehr. Der hielt den linken hoch.«
    Er sah uns reihum an. »Wat jrinst ihr? Is nich komisch. Wenn ihr mich fragt: De siejen.«
    »Nicht in Berlin«, sagte mein Vater.
    »Wenn se überall siejen? Wat soll Berlin machen?«
    »Berlin ist Reichshauptstadt«, sagte mein Vater. »Wir sind treudeutsch, von ein paar Tangobubis und Volksverrätern abgesehen. Treudeutsch, Hubert. Aber niemals Nazis.«
    »Deen Wort in Jottes Jehörjang«, sagte Hubert.
    Joachim warf ein: »Können wir die Waggonfrage besprechen?«
    »Was ist da zu besprechen«, sagte mein Vater. »Ihr macht alle, was ihr wollt. Meinetwegen. Fragt die Brauerei, ob sie die Aufstellung erlaubt. Die Brauerei ist Eigentümer des Schützenhauses.«
    Hubert zwinkerte Joachim zu. »Is bereits jebongt«, sagte er.
    »Ihr braucht mich nicht«, grollte mein Vater. »Ich glaube, ich lege mich ein bißchen hin.«
    Im »Angriff« stand, ich hatte das mal gelesen, was Dr. Goebbels damals in den Pharussälen gesagt hatte, bevor die Stuhlbeine geschwungen wurden:
    »Da ist einer irrsinnig geworden. Herr Zeitgenosse, Siescheinen nicht zu wissen, daß Sie sich in einer nationalsozialistischen Versammlung befinden. Sollten Sie noch einmal wagen, den ruhigen und sachlichen Verlauf der Versammlung zu stören, so kann ich nicht garantieren, ob Sie nicht durch eine zweckentsprechende Kopfmassage wieder zu einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft gemacht werden.«
    Die Kommunisten hatten dreiundachtzig Verletzte, die Nazis zwölf. Goebbels ließ sie mit dicken Mullbindenverbänden fotografieren.
    Papa Warnicke hatte mal gesagt, sie seien über Vereine an ihn herangetreten, ob er sein Schützenhaus als Versammlungslokal zur Verfügung stellen würde. Es gab einen Schwimmverein »Hohe Welle«, einen Sparverein »Pinke Pinke«, einen Anglerverein »Modderkrebs«. Getarnte Nazi-Organisationen durchweg. Er hatte meinen Vater gewarnt.
    Vieles erfuhr ich nur, wenn Anneli sich zu mir setzte, während ich mich ins Gebirge jener Kissen kuschelte, die sich, dank Omas Fürsorge weich mit Eiderdaunen gestopft, schützend um mich plusterten – ich verstand meinen Vater und seine Flucht in die Bettenburg. Eine feste Burg, bewiesen die prallen Inletts, mußte es nicht sein, feste Burg, das war ein Schimmer von geschwänztem Religionsunterricht, lückenhafter Konfirmanden-Unterweisung. Wir lebten, wenn ich es überlege,

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