Das schwarze Blut
Lügner, gerissener Fuchs. Es glitt in eine Art Zwischenwelt ab, einen Sumpf, in dem er nach Gold schürfte. Er verkehrte mit Prostituierten schweren Kalibers, mit hoch verschuldeten Bullen, mit zwielichtigen Spitzeln. Er lernte Hausmeister, Taxifahrer, Ärzte zu bestechen. Er wurde Experte im Durchsuchen von Mülltonnen wie auch in der Kunst, sich Zutritt zu exklusiven Partys zu verschaffen.
Bald hatte er den Spitznamen »der Abstauber«. Seine Spezialität: der Diebstahl intimer Familienfotos von Leuten, die aus irgendeinem Grund plötzlich im Rampenlicht standen. Waren Eltern vom Medienerfolg ihres Nachwuchses überrumpelt, war er, lächelnd und herzlich, zur Stelle und ließ diskret die Porträts vom Kaminsims mitgehen. Waren ein Vater, eine Mutter nach dem Mord an ihrer kleinen Tochter niedergeschmettert und sprachlos, bekundete er sein Mitgefühl und nutzte die Gelegenheit, um in der Schuhschachtel mit den gesammelten Fotos zu stöbern.
Wenn »echte« Aufnahmen erforderlich waren, tat er sich mit dem je nach Projekt besten Fotografen zusammen, der meist aus einem ganz anderen Fachgebiet herkam. Ging es um einen superheißen Job auf dem Felsen von Monaco? Mark kontaktierte einen Bergsteiger, der in der Lage war, sich Zutritt zum Fürstentum zu verschaffen, ohne den Zoll zu passieren, nämlich in der Direttissima über die Wand. Brauchte er einen Schnappschuss des nackten Busens von Ophélie Winter? Dann hatte er den schnellsten Fotografen zur Hand, einen Crack der Olympischen Spiele, der imstande war, beim Hundert-MeterStart ein perfekt scharfes Bild zu schießen. Oder eine Nachtszene auf mehr als achthundert Metern Entfernung? Mark wandte sich an einen Tierfotografen, Experten für Nachtaufnahmen und genialen Bastler, der Infrarotobjektive erfunden hatte.
1994 fand er endlich einen vollwertigen Partner, der sich an sämtlichen Fronten bewährte. Vincent Timpani, ein langhaariger Koloss, überschwänglich und unflätig, doch imstande, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen und, mehr noch, in allen Situationen ein scharfes Bild zustande zu bringen. Ein Gorilla, der es notfalls mit Leibwächtern aufnahm und auch nicht vor illegalen Aktionen zurückschreckte – mehrmals waren sie gemeinsam bei Stars eingebrochen: riskant, aber rentabel.
In den grünen Bomberjacken der englischen Piloten, vermummt mit schwarzen Mützen, die sie tief ins Gesicht zogen, organisierten sie regelrechte Kommandooperationen. Ihr Alltag war ereignisreich, an Aufregungen fehlte es nie. Sie hatten eine endlose Glückssträhne. Mitte der neunziger Jahre lieferten sich die französischen Skandalblätter einen erbitterten Konkurrenzkampf. Paris-Match, Voici, Gala, Point de vue führten einen offenen Krieg um die besten Abzüge.
Mark und Vincent kassierten ein Vermögen.
Aber Mark ging es gar nicht ums Geld. Eben hatte er sich ein Atelier im 9. Arrondissement gekauft – und bar bezahlt – und sich gar nicht erst die Mühe gemacht, es einzurichten. Er suchte etwas anderes: Vergessen. Sein einziger Triumph war, dass es ihm mit seiner Umtriebigkeit gelungen war, die Albträume im Zaum zu halten und Sophies Bild in einen fernen Winkel seines Bewusstseins zu drängen. Verarbeitet hatte er gar nichts: Er funktionierte, und das war ein Erfolg. Dass er ein mieser Kerl war, trug er mit Stolz zur Schau.
Mark war ein Überlebender.
Und Überlebende haben alle Rechte.
1997. Mark und Vincent reisten von der Insel Mustique nach Gstaad, vom Anwesen Sperone auf Korsika nach Palm Beach in Florida, und niemand konnte sie aufhalten: Paparazzi waren gefragt wie nie. Mark ahnte, dass es nicht ewig so weitergehen würde, irgendwann würde der Wind sich drehen, nicht nur für sie beide, sondern für alle. Die Boulevardpresse brach unter den indiskreten Fotos zusammen. Und unter den blauen Umschlägen der Gerichte, die nach Erscheinen jeder Ausgabe ins Haus flatterten. Die Prominenten schlugen zurück, bedienten sich der übrigen Medien als Forum, und den Lesern begann bei so viel Voyeurismus unbehaglich zu werden. Die Grenze der Toleranz näherte sich.
Mark rechnete mit einem allmählichen Rückgang, einem gebremsten Sturz sozusagen. Nie hätte er gedacht, dass es so schnell gehen würde, mit der Geschwindigkeit eines herabsausenden Fallbeils.
Das Fallbeil schlug in der Nacht des 30. August 1997 zu. Für Lady Di hatte Mark sich nie interessiert: zu viel Konkurrenz. Er war lieber Einzelkämpfer, zog die Umwege und Überraschungen vor. Die Nachricht von ihrem Tod
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