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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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überschwemmte, lichtete sich so weit, dass es sich, wenn er erwachte, in der diffusen Helle des Morgens auflöste.
    Von ihm unbemerkt, schlich sich ein neues Gift in sein Leben ein: die Routine. Immer enger schlossen sich die konzentrischen Kreise seines Daseins um ihn, bis er zu ersticken meinte. Jeder Tag lähmte ihn ein wenig mehr. Er schlief immer länger, stand meist erst so spät auf, dass er gerade noch rechtzeitig zur morgendlichen Redaktionssitzung kam, und abends setzte er sich vor den Fernseher – weil er ja den ganzen Tag »wie ein Berserker geschuftet« hatte. Nach und nach wichen seine Schriftstellerträume den winzigen, doch handfesten Notwendigkeiten seines beruflichen Alltags. Er sprach den leiblichen Genüssen zu, wurde aufgedunsen, fand zunehmend Geschmack am Nichtstun. Er hatte sich sogar wieder dem Klavier zugewandt, aber so, wie man sich ans Basteln macht.
    Dann traf er sie.
    Zuerst sah er sie gar nicht. Wie bei diesen Psychotests, bei denen der Proband unmögliche Spielkarten, die ihm untergeschoben werden – ein rotes Pik-Ass, eine schwarze Karo-Zehn –, mit den normalen Karten gleichsetzt und keinen Unterschied merkt, reihte Mark Sophie in die gewohnte Umgebung ein und nahm die Unterschiede nicht wahr.
    Sie war ganz einfach die unmögliche Karte.
Er lernte sie in Saignon kennen, im Naturpark des Lubéron, wo nach der Entdeckung fossiler Fußabdrücke von prähistorischen Tieren in einer Kalksteinplatte einearchäologische Grabung eröffnet wurde. Sophie war es, die den Kontakt herstellte: Sie war die Pressesprecherin der Stiftung, von der die Grabung finanziert wurde. Er bemerkte sie nicht. Eine rote Kreuz-Dame, eine schwarze Herz-Königin. Sie musste Hartnäckigkeit an den Tag legen, musste ihn mehrfach auf andere von ihrer Stiftung finanzierte Grabungsstätten einladen, bis ihm endlich ein Licht aufging.
    Sophie entsprach haargenau seiner Idealvorstellung einer Frau. Sie war das Bild, das seit jeher durch seine Träume gegeistert war, der geheime Wunsch, den er nicht zu formulieren wagte, aus Furcht, er könnte sich verflüchtigen, sobald er mit konkreten Gedanken in Berührung käme. Noch jetzt wäre er außerstande gewesen, sie zu beschreiben. Groß, dunkel, präzise und vagezugleich. Er erinnerte sich nur an perfekte Ausgewogenheit. An vollendete Anmut. Er war stets überzeugt gewesen – und hatte jetzt den Beweis dafür –, dass die Farbe der Haare, des Teints, die Beschaffenheit der Haut keine Rolle spielen: Es zählt allein die Harmonie des Ganzen. Die Reinheit der Linien, die Strenge der Form. Wie das Wunder einer Melodie, die auf jedem beliebigen Instrument gespielt werden kann, ohne an Intensität zu verlieren.
    Unmöglich auch konnte er sagen, ob er ihren Geist liebte oder ihre Persönlichkeit, denn alles, wirklich alles an ihr – Bemerkungen, Entscheidungen, Verhalten – war von dieser unaussprechlichen Anmut erfüllt. Er hörte ihr nicht zu: Er schwebte. Er liebte sie nicht: Er betete sie an. Er hatte nur den einen Wunsch, in ihrer Nähe zu leben und diese Schönheit bis ans Ende zu begleiten, so wie man eine Wallfahrt unternimmt. Er wollte sie runzelig werden sehen, wollte ihre Schönheit zähmen, doch nie versuchen, sie zu begreifen oder ihr Geheimnis zu lüften. Er hoffte ganz einfach, in ihrer Geschichte aufzugehen, wie ein Priester im Glauben, in der Kraft seiner Gebete aufgeht, ohne die Ratschlüsse Gottes zu erfassen.
    Auf beruflicher Ebene bekam er neuen Auftrieb. Seit zwei Jahren war er Kontaktmann einer großen Fotoagentur in Paris. Wenn irgendein Ereignis in seiner Region von landesweiter Bedeutung war, verständigte er die Zentrale, die ihm einen Fotografen schickte. Dadurch kam er mit berühmten Reportern zusammen, mit Leuten, die ständig auf Reisen waren und auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit lebten. Mark schlug seinen Auftraggebern eine Zusammenarbeit vor – das berühmte Tandem Journalist-Fotograf –, und zwar auf weltweiter Ebene.
    Man schenkte ihm Vertrauen. Fortan war er viel auf Reisen, befasste sich mit den unterschiedlichsten Themen, mit den letzten Urvölkern, mit wahnsinnigen Milliardären, mit Bandenkriegen – er machte alles. Unter einer Bedingung: Es musste unfassbar sein, beispiellos, ein Nervenkitzeln auf Hochglanzpapier. Sein Einkommen stieg. Desgleichen die Risiken, die er einging. Er verkaufte sein Haus in Sommières und kehrte nach Paris zurück. Sophie ging natürlich mit – ohnehin geschah das alles nur ihretwegen. Denn

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