Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
Grabes wuchs immer höher, und allmählich vermischte sich mein Schweiß mit dem strömenden Regen. Mein Herz klopfte wie ein Schmiedehammer in meiner Brust. Endlich stieß ich auf Holz. Ich ließ mich auf die Knie nieder und kratzte den Sarg mit den Händen sauber. Der Deckel war mit je einem Nagel an den Ecken befestigt. Ich zwängte die Schaufelkante in den Spalt und machte mich daran, den Sarg aufzuhebeln. Das Holz knackte, riss, splitterte. »Guter Gott, vergib mir«, flüsterte ich und bekreuzigte mich. Da zerriss ein Blitz den Himmel, und flüchtig sah ich in seinem scharfen Licht die arme Seele im Sarg liegen.
Nach der Qualität des Sarges und der billigen Ausstattung zu urteilen, war der Tote kein reicher Mann, aber wer war schon reich in dieser Gegend? Ob reich oder arm, er endete wie wir alle in der Erde. Aber er war jung und sein schönes Gesicht war nicht entstellt von dem Unfall, der ihn das Leben gekostet hatte: Er war unter die Räder eines Wagens geraten. Seine bleichen Hände waren auf der Brust gefaltet und sein aschfahles Gesicht sah friedlich aus. Seine irdischen Sorgen hatten ein Ende. Meine hatten gerade begonnen.
Ich zauderte nur einen Augenblick, dann fasste ich den armen Kerl bei den Schultern, zog ihn aus dem Sarg und hievte ihn aus dem Grab heraus. Ich wandte meinen Blick zum Himmel und schwor, dies sei das erste und letzte Mal, dass ich eine so schändliche Tat begehe. Ich hatte gedacht, nachdem die Seele eines Menschen entwichen und die Bürde desLebens von ihm genommen ist, wäre sein Körper leichter, aber nun hatte ich das Gefühl, als müsste ich ein totes Pferd transportieren. Ich zerrte den Mann über das Gras zwischen den Grabsteinen zum Tor des Friedhofs, wo nach Jeremiahs Angaben jemand warten würde.
Ich sah sie. Zwei schwarz gekleidete Männer, die Gesichter und Köpfe mit Kapuzen verhüllt. Ohne ein Wort ergriffen sie die Leiche und warfen sie zwischen Bierfässer hinten auf ihren Wagen. Sie deckten Stroh darüber und fuhren davon.
Ich wartete, bis ich die Hufe der Pferde nicht mehr hören konnte, dann ging ich auf den Friedhof zurück und schaufelte das Grab wieder zu. Ich arbeitete wie ein Besessener, ich schaufelte mit der Kraft eines Dämons, und als das Werk endlich getan war, ging ich nach Hause.
Beim Erwachen am nächsten Tag war ich überzeugt, ich hätte alles nur geträumt – aber neben dem Kamin lehnte die hölzerne Schaufel. Ich konnte mich kaum im Spiegel ansehen. Was auch der Grund für meine Tat gewesen sein mochte, ich war nicht besser als ein gewöhnlicher Leichenräuber.
Wiedererwecker
nannten die sich gern, aber ein ausgefallener Name garantiert noch längst keinen guten Charakter. Sicher war die Leiche schon weit weg, in der Stadt höchstwahrscheinlich, und lag unter dem Messer eines Doktors in der Anatomie-Schule – alles im Interesse der Wissenschaft. Das jedenfalls behaupteten die Ärzte. Sie zahlten gutes Geld für Leichen, und Jeremiah füllte sich die Taschen damit. Aber nie hätte ich gedacht, dass ich jemals selber in ein so grausiges, sündiges Geschäft verwickelt sein würde.
In der Nacht kam Jeremiah zu mir.
»Meine Leute sagen, du hast gute Arbeit geleistet.«
Das war beileibe kein Lob, das mich erfreuen konnte.
»Aber wo sind die Wertgegenstände?«, fragte er.
»Wertgegenstände? Wie meint Ihr das? Ist es nicht genug, dass ich eine Leiche für Euch ausgegraben habe? Jetzt verlangt Ihr noch mehr?«
Er zog die Schultern hoch. »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass dieser junge Mann mit einer silbernen Uhr und einem Goldring beerdigt worden ist. Die Sachen gehörten seinem Vater. Ist ja wohl eine merkwürdige Sitte, Dinge zu vergraben, obwohl man sie gut verkaufen könnte.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Nach Ratchets Vorstellungen sollte ich ihm also nicht nur als Leichenräuber, sondern auch als Dieb dienen.
»Ich habe getan, was Ihr verlangt habt«, sagte ich. »Die Schuld ist bezahlt.«
Er schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht, Obadiah Strang. Schließlich schuldest du mir eine beträchtliche Summe, und die Wertgegenstände hast du ihm auch nicht abgenommen. Du wirst nächstes Mal gründlicher arbeiten müssen.«
»Nächstes Mal?«
Ich wagte nicht mehr zu widersprechen, weil ich inzwischen meine Zwangslage erkannt hatte. Grabräuberei wurde mindestens mit Gefängnisstrafe belegt, aber nur, wenn man das Glück hatte, nicht vorher von den Verwandten des Toten aufgeknüpft zu werden.
Das alles ist jetzt sechs
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