Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Radio? Vor ein paar Monaten musste sie sich entscheiden, ob sie ihre Kabelrechnung bezahlen oder eine weitere Zweiliterflasche Wodka Aristocrat kaufen wollte, und – sorry, Bucky und Stacey – Wanda entschied sich für ihr Glück, sie folgte ihrem Herzen. Ohne Kabelanschluss empfängt ihr Fernseher kaum mehr als Schnee und eine breite schwarze Querlinie, die in einer Endlosschleife über ihren Fernsehschirm läuft. Aber Wanda hat Bucky und Stacey ohnehin schon immer gehasst, genau wie fast alle übrigen Leute im Fernsehen, vor allem wenn diese zufrieden wirken und gepflegt aussehen. (Besonders hasst sie die Gastgeber morgendlicher Nachrichtensendungen und die Moderatoren der großen Fernsehgesellschaften.) Wanda ist nicht mehr zufrieden oder gepflegt gewesen, seit dieser hochnäsige Angeber Jack Sawyer ihren Mann schrecklicher Verbrechen bezichtigt hat, die Thorny niemals hätte verüben können. Jack Sawyer hat ihr Leben ruiniert, und Wanda denkt weder daran zu vergeben noch zu vergessen.
Dieser Kerl hat ihren Mann in eine Falle gelockt. Er hat ihm die Schuld in die Schuhe geschoben. Er hat Thornys guten Namen befleckt und ihn ins Gefängnis verfrachtet, nur um selbst gut dazustehen. Wanda hofft, dass sie den Fisherman nie erwischen, der Fisherman ist nämlich genau das, was sie verdienen, diese Schweine. Spielt man schmutzig , dann ist man
schmutzig, und solche Leute gehören in den tiefsten Höllenpfuhl – das denkt Wanda Kinderling. Der Fisherman ist die Vergeltung dafür – das denkt Wanda. Soll er doch hundert Bälger umbringen, soll er tausend umbringen, und danach kann er sich gleich auch noch über ihre Eltern hermachen. Thorny hätte diese Schlampen unten in Los Angeles nicht umbringen können. Das waren Sexmorde, und Thorny hatte kein Interesse an Sex, Gott sei Dank. Sein Körper war zwar herangewachsen, aber sein Geschlecht hatte nicht damit Schritt gehalten; sein Dingelchen war nur ungefähr so groß wie sein kleiner Finger. Es war ihm also unmöglich, sich für schlimme Frauen und Sexsachen zu interessieren. Aber dieser Jack Sawyer hatte doch damals in Los Angeles gelebt, oder etwa nicht? Wieso konnte nicht er diese Schlampen, diese Nutten ermordet haben, um dann alles Thorny in die Schuhe zu schieben?
Die Moderatorin berichtet, was der ehemalige Lieutenant Sawyer gestern Abend alles geleistet hat, und Wanda Kinderling würgt Gallenflüssigkeit hoch, greift nach dem Glas auf ihrem Nachttisch und löscht den Brand in ihren Eingeweiden mit einem Riesenschluck Wodka.
Gorg, der Leute wie Wanda logischerweise besuchen müsste, verfolgt die Fernsehnachrichten nicht, er ist nämlich weit weg in Anderland.
In seinem Bett im Maxton genießt Charles Burnside Träume, die eigentlich nicht die seinen sind. Sie stammen von einem anderen Wesen, das anderswo lebt, und stellen eine Welt dar, die er nie selbst gesehen hat. Zerlumpte, versklavte Kinder trotten auf blutenden Füßchen an lodernden Flammen vorbei, drehen gigantische Räder, die noch größere Räder drehen, oho, aha, diese Macht der in den schwarz-roten Himmel aufsteigenden, aufsteigenden herrlichen Werkzeuge der Vernichtung. Die Große Kombination! Beißender Gestank nach geschmolzenem Metall und etwas wahrhaft Scheußlichem, etwas wie Drachenharn, erfüllt die Luft ebenso wie der bleierne Gestank von Verzweiflung. Echsenartige Dämone mit kräftigen, zuckenden Schwänzen treiben die Kinder mit Peitschenhieben an. Getöse aus Scheppern und Dröhnen, aus Krachen und gewaltigen dumpfen Schlägen gellt schmerzhaft in den Ohren. Es sind die
Träume von Mr. Munshun, Burnys engstem Freund und liebendem Herrn, einem Geschöpf endloser und perverser Freuden.
Am Ende des Korridors im Gebäudeflügel Daisy, quer durch die elegante Eingangshalle und hinter Rebecca Vilas’ kleinem Kabuff, ist Chipper Maxton mit weit banaleren Dingen beschäftigt. Der kleine Fernseher auf dem Regal über dem Safe zeigt das wundersame Bild, wie der Verrückte Ungar Hrabowski unseren Freund Wendell Green mit einem netten, sauberen Schlag einer schweren Stablampe fällt, aber Chipper nimmt diesen großen Augenblick kaum wahr. Er muss die 13 000 Dollar heranschaffen, die er seinem Buchmacher schuldet, und hat nur ungefähr die Hälfte dieses Betrags flüssig. Gestern ist die liebreizende Rebecca nach Monroe gefahren, um das meiste Geld abzuheben, das er dort gebunkert hatte, und er kann etwa 2000 Dollar von seinem eigenen Konto verwenden, solange er sie bis Monatsende ersetzt.
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