Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Trotzdem fehlen noch rund sechs Mille, ein Betrag, der einiges an kreativer Buchführung verlangt. Zum Glück ist kreative Buchführung eine Spezialität Chippers, und als er über die Möglichkeiten nachdenkt, die sich ihm bieten, beginnt er seine gegenwärtigen Schwierigkeiten als Chance zu begreifen.
Schließlich ist er ursprünglich doch Geschäftsmann geworden, um möglichst viel Geld beiseite zu schaffen, oder? Außer sich von Ms. Vilas bedienen zu lassen, ist Unterschlagung ungefähr die einzige Tätigkeit, die ihn wahrhaft glücklich macht. Der Betrag spielt dabei fast keine Rolle: Wie wir gesehen haben, macht es Chipper ebenso viel Spaß, den Verwandten der Heiminsassen nach dem Erdbeerfest ein paar Dollar Wechselgeld abzuluchsen, wie den Staat um 10 000 oder 15 000 Dollar zu betrügen. Der Nervenkitzel liegt darin, nicht erwischt zu werden. Er braucht also 6000; warum nicht gleich 10 000 unterschlagen? Dann braucht er das eigene Bankkonto nicht anzurühren und behält sogar noch 2000 Dollar Spielgeld übrig. In seinem Computer hat er doppelt geführte Bücher, und er kann das Geld leicht vom Firmenkonto abheben, ohne bei der nächsten staatlichen Rechnungsprüfung, die in etwa einem Monat bevorsteht, sofort aufzufallen. Es sei denn, die Rechnungsprüfer
verlangen die Kontoauszüge, aber selbst dann gibt’s noch ein paar Tricks, mit denen er arbeiten kann. Echt bedauerlich, dass die Rechnungsprüfung schon so bald bevorsteht – Chipper hätte gern etwas mehr Zeit, um seine Fährte zu verwischen. Die 13 000 zu verlieren, war nicht das Problem, denkt er. Das Problem war, sie zur falschen Zeit zu verlieren.
Um alles klar durchdenken zu können, zieht Chipper die Tastatur zu sich heran und weist den Computer an, die kompletten Kontenbewegungen in beiden Büchern für den letzten Monat auszudrucken. Bis die Rechnungsprüfer hier aufkreuzen, Baby, werden diese Blätter in den Aktenvernichter gewandert und als Makkaroni herausgekommen sein.
Wir wollen uns jetzt von einer Form von Geistesgestörtheit einer anderen zuwenden. Nachdem der Besitzer des Holiday Trailer Parks einen zitternden Zeigefinger ausgestreckt hat, um auf Mrs. Freneaus Wohnwagen zu deuten, fährt Jack von wachsenden Zweifeln geplagt auf dem staubigen Weg weiter. Tansys Wohnwagen ist der letzte und ungepflegteste in einer Viererreihe. Zwei der anderen sind mit farbenprächtigen Blumenrabatten abgegrenzt, und der dritte Wohnwagen ist mit gestreiften Markisen herausgeputzt, die ihn wie ein Haus aussehen lassen. Der vierte Wagen lässt keine Anzeichen von Ausschmückung oder vorgenommener Verbesserung erkennen. Verwelkende Blumen und spärliches Unkraut kümmern weit verstreut auf dem festgetrampelten Boden in seiner Umgebung. Die Jalousien sind heruntergelassen. Eine Aura von Elend und Auszehrung umgibt ihn ebenso wie eine Eigenart, die Jack als Verwerfung definieren könnte, wenn er sich die Zeit nähme, darüber nachzudenken. Auf nicht gleich augenfällige Weise sieht der Wohnwagen irgendwie nicht in Ordnung aus. Kummer hat ihn verformt, wie Kummer einen Menschen verformen kann, und als Jack aus seinem Pickup steigt und auf die Hohlblocksteine zugeht, die vor dem Eingang eine Trittstufe bilden, wachsen seine Zweifel noch mehr. Er weiß nicht mehr recht, wozu er hergekommen ist. Jack kommt in den Sinn, dass er Tansy Freneau nichts zu bieten hat außer seinem Mitleid, und bei diesem Gedanken ist ihm unbehaglich zumute.
Dann wird ihm bewusst, dass die Zweifel seine wahren Empfindungen tarnen, jene, die mit dem Unbehagen zusammenhängen, das der Wohnwagen in ihm weckt. Er will dieses Ding nicht betreten. Alles andere sind Scheinbegründungen; ihm bleibt aber nichts anderes übrig, als stetig weiterzugehen. Sein Blick fällt auf die Fußmatte mit dem eingewebten Wort Welcome, ein beruhigender Anflug der gewöhnlichen Welt, die er bereits hinter sich verschwinden fühlt. Er tritt aufs oberste Brett und klopft an die Tür. Keine Reaktion. Vielleicht schläft sie ja noch und würde lieber weiterschlafen. Wäre er Tansy, würde er möglichst lange im Bett bleiben. Wäre er Tansy, würde er wochenlang im Bett bleiben. Jack überwindet nochmals sein Widerstreben, klopft erneut an und sagt: »Tansy? Sind Sie auf?«
Eine dünne Stimme von drinnen sagt: »Wie auf?«
O-oh, denkt Jack und sagt: »Aufgestanden, meine ich. Ich bin Jack Sawyer, Tansy. Wir kennen uns von gestern Abend. Ich helfe der Polizei, und ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich heute
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