Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Wanda Kinderling ihn bei der Urteilsverkündung im Prozess gegen ihren Mann hasserfüllt angestarrt hat, lässt sein Lachen wieder verstummen, aber zu spät. Er sieht, dass er den jungen Mann gekränkt hat. »Wie war sie?«, fragt er. »Als Lehrerin.«
»Wie eben Lehrerinnen sind«, sagt der Junge. Seine Stimme klingt ausdruckslos, nachtragend. »Sie hat uns die Namen aller Bücher der Bibel auswendig lernen lassen.« Er wendet sich ab und murmelt: »Manche Leute glauben immer noch, dass er’s nicht gewesen ist.«
»Was haben Sie gesagt?«
Der Junge wendet sich Jack etwas zu, betrachtet aber die braune Wand vor sich. »Ich habe gesagt: Manche Leute glauben immer noch, dass er’s nicht gewesen ist. Mr. Kinderling. Sie glauben, dass er eingesperrt worden ist, weil er jemand vom Land war, der dort unten niemanden gekannt hat.«
»So ein Pech«, sagt Jack. »Wollen Sie den wahren Grund dafür wissen, dass Mr. Kinderling im Gefängnis sitzt?«
Der Junge dreht sich ganz um und sieht Jack an.
»Weil er gemordet und ein Geständnis abgelegt hat. Das war’s, das ist alles. Zwei Zeugen haben ihn am Tatort gesehen,
und weitere zwei Leute haben ihn in einem Flugzeug nach L.A. gesehen, als er angeblich nach Denver wollte. Danach hat er gesagt: Okay, ich hab’s getan. Ich wollte schon immer wissen, wie’s ist, eine Frau umzubringen, und eines Tages konnte ich’s nicht mehr aushalten, deshalb bin ich losgezogen und habe eine ermordet. Sein Verteidiger hat versucht, ihn wegen Unzurechnungsfähigkeit freizubekommen, aber die Geschworenen haben ihn für zurechnungsfähig gehalten und deshalb zu lebenslänglich verurteilt.«
Der Junge senkt den Kopf und murmelt irgendwas.
»Sorry, das habe ich nicht verstanden«, sagt Jack.
»Es gibt viele Methoden, um Geständnisse zu erpressen.« Der Junge wiederholt den Satz eben laut genug, dass Jack ihn verstehen kann.
Dann hallen auf dem Korridor Schritte, und ein rundlicher Mann, der einen weißen Arztmantel, eine Nickelbrille und eine Spitzbart trägt, kommt mit ausgestreckter Hand energisch auf Jack zu. Der Junge hat sich abgewandt. Die Chance für Jack, den Wärter davon zu überzeugen, dass er Thornberg Kinderling nicht misshandelt hat, um ihm ein Geständnis abzupressen, ist vertan. Der lächelnde Spitzbart in dem weißen Kittel reicht Jack die Hand, stellt sich als Dr. Spiegleman vor und gibt seiner Freude Ausdruck, eine so berühmte Persönlichkeit kennen lernen zu dürfen. ( Persönlichkeit, wie hochgestochen, denkt Jack.) Hinter dem Arzt taucht ein Mann auf, den Jack bisher nicht wahrgenommen hat, und sagt: »He, Doktor, wissen Sie, was perfekt wäre? Wenn Sherlock Holmes und ich die Lady gemeinsam interviewen würden. Doppelt so viele Informationen in der halben Zeit … perfekt.«
Das stößt Jack sauer auf. Wendell Green hat sich hier eingeschlichen.
Nachdem Jack den Arzt begrüßt hat, wendet er sich dem anderen Mann zu: »Was machen Sie hier, Wendell? Sie haben Fred Marshall versprochen, seine Frau in Ruhe zu lassen.«
Wendell Green hebt abwehrend die Hände und tänzelt auf den Fußballen rückwärts. »Sind wir heute ruhiger, Lieutenant Sawyer? Nicht wieder geneigt, die schwer arbeitende Presse
mit einem Überraschungsschlag außer Gefecht zu setzen? Ich muss sagen, dass ich’s allmählich satt habe, von der Polizei misshandelt zu werden.«
Dr. Spiegleman betrachtet ihn stirnrunzelnd. »Was soll das heißen, Mr. Green?«
»Bevor dieser Cop mich gestern mit einer Stablampe niedergeschlagen hat, hat Lieutenant Sawyer hier mir ohne triftigen Grund einen Magenschwinger verpasst. Nur gut, dass ich ein vernünftiger Mensch bin, sonst hätte ich bereits auf Schmerzensgeld geklagt. Aber wissen Sie was, Doktor? Das ist nicht meine Art. Ich bin der Überzeugung, dass alles besser funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten.«
Verdammt!, denkt Jack, während Green sich selbst lobt, und sieht zu dem Wärter hinüber. Der Blick des Jungen brennt vor Hass. Ein aussichtsloser Fall: Jack wird es jetzt nie mehr gelingen, den Jungen davon zu überzeugen, dass Kinderling nicht misshandelt worden ist. Als Wendell Green mit seinem Eigenlob fertig ist, hat Jack längst die Nase von dessen unaufrichtiger, kriecherischer Freundlichkeit voll.
»Mr. Green hat mir angeboten, mich an seinem Gewinn zu beteiligen, wenn ich ihn Fotos von Irma Freneaus Leiche verkaufen lasse«, erklärt er dem Arzt. »Was er jetzt verlangt, ist ebenso undenkbar. Mr. Marshall hat mich dringend gebeten,
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