Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
irgendwie hinbringen, ohne den Korridor dort draußen zu benützen?«
»Oh.« Evans’ trüber Blick glänzt sekundenlang verständnisvoll. »Sie wollen mithören .«
»Mithören und aufzeichnen.« Wendell Green klopft auf die Tasche, in der sein Diktiergerät steckt. »Zum Besten der Öffentlichkeit insgesamt, Gott zum Segen.«
»Nun, vielleicht, yeah«, sagt der Junge. »Aber Dr. Spiegleman, er …«
Auf magische Weise ist ein um Wendell Greens rechten Mittelfinger gewickelter Zwanzigdollarschein aufgetaucht. »Beeilen Sie sich, dann merkt Dr. Spiegleman überhaupt nichts. Ist doch so, oder, Ethan?«
Ethan Evans reißt Wendell den Geldschein aus den Fingern und fordert ihn mit einer Handbewegung auf, hinter die Theke zu treten, wo er eine Tür öffnet und drängend sagt: »Los, los, beeilen Sie sich!«
An beiden Enden des düsteren Korridors brennen trübe Lampen.
»Ich vermute«, sagt Dr. Spiegleman, »dass der Mann unserer Patientin Ihnen von der Kassette erzählt hat, die sie heute Morgen erhalten hat.«
»Das hat er. Wie ist sie hergekommen, wissen Sie das?«
»Glauben Sie mir, Lieutenant, nachdem ich die Wirkung dieser Aufnahme auf Mrs. Marshall gesehen und mir die Kassette selbst angehört hatte, habe ich festzustellen versucht, wie sie in die Hände meiner Patientin gelangt ist. Alle unsere Post geht vor der Verteilung durch den Postraum des Krankenhauses, alle Sendungen, ob sie nun für Patienten, Ärzte, Pflegepersonal oder die Verwaltung bestimmt sind. Von dort aus werden sie dann den Adressaten zugestellt. Meines Wissens hat der Umschlag mit der Kassette im Postraum gelegen, als einer unserer Praktikanten heute Morgen hineingesehen hat. Da der Umschlag nur den Namen der Patientin trug, ist er damit in die Registratur gegangen, um die Station zu erfragen. Eine Mitarbeiterin hat den Umschlag schließlich hinaufgebracht.«
»Hätten Sie nicht konsultiert werden müssen, bevor man Judy die Kassette und einen Recorder gab?«
»Natürlich. Oberschwester Bond hätte das sofort getan, aber sie hat heute ihren freien Tag. Oberschwester Rack, die heute Dienst hat, war der Meinung, die Anschrift beziehe sich auf
einen Kosenamen aus Mrs. Marshalls Kindheit, und hat angenommen, einer von Mrs. Marshalls alten Freunden hat ihr etwas Musik geschickt, um sie aufzuheitern. Und da im Schwesternzimmer leider ein Recorder steht, hat sie die Kassette einfach eingelegt und Mrs. Marshall das Gerät hingestellt.«
Im Halbdunkel des Korridors beginnen die Augen des Arztes sarkastisch zu glitzern. »Wie Sie sich vorstellen können, war dann die Hölle los. Mrs. Marshall ist wieder in den Zustand verfallen, in dem sie hier eingeliefert worden ist, wozu alle möglichen beunruhigenden Verhaltensweisen gehören. Ich war zum Glück im Krankenhaus, und als ich gehört habe, was passiert ist, habe ich sofort angeordnet, sie zu sedieren und in einen sicheren Raum zu bringen. Ein sicherer Raum, Lieutenant, hat gepolsterte Wände – die Wunden an Mrs. Marshalls Fingern waren wieder aufgeplatzt, und ich wollte verhindern, dass sie sich noch mehr antut. Sobald das Sedativ zu wirken begonnen hatte, bin ich hineingegangen und habe mit ihr geredet. Ich habe mir dann auch die Kassette angehört. Vielleicht hätte ich sofort die Polizei anrufen sollen, aber ich bin in erster Linie für meine Patientin zuständig, deshalb habe ich stattdessen Mr. Marshall angerufen.«
»Von wo aus?«
»Aus dem sicheren Raum, mit meinem Handy. Mr. Marshall hat natürlich darauf bestanden, mit seiner Frau zu sprechen, und sie wollte auch mit ihm reden. Aber das Gespräch hat sie so aufgeregt, dass ich ihr ein weiteres mildes Sedativ geben musste. Nachdem sie sich beruhigt hatte, habe ich das Zimmer verlassen und Mr. Marshall erneut angerufen, um ihn genauer über den Inhalt der Kassette zu informieren. Wollen Sie sie hören?«
»Nicht jetzt, Doktor, danke. Aber ich möchte Sie zu einem Aspekt der Aufnahme befragen.«
»Dann fragen Sie.«
»Fred Marshall hat versucht, die Art und Weise zu imitieren, wie Sie den Akzent des Mannes, dessen Stimme auf der Kassette zu hören ist, wiedergegeben haben. War das ein für Sie erkennbarer Akzent? Vielleicht ein deutscher?«
»Darüber habe ich schon nachgedacht. Die Aussprache hatte etwas Deutsches an sich, war aber doch irgendwie anders. Am ehesten käme folgende Beschreibung hin: Englisch, das ein Franzose spricht, der einen deutschen Akzent anzunehmen versucht, falls Sie sich darunter etwas vorstellen
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