Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
weiterer geistiger Aussetzer des gro ßen Detektivs.
»Ich lege sie aufs Mischpult in seinem Studio«, sagt sie. »Dort findet er sie todsicher. Jack, das geht mich zwar nichts an, aber Sie sehen in letzter Zeit nicht sonderlich gesund aus. Sie sind leichenblass und haben seit letzter Woche garantiert zehn Pfund abgenommen. Außerdem …« Sie wirkt etwas verlegen. »Außerdem haben Sie Ihre Schuhe verkehrt herum an.«
Tatsächlich. Er nimmt den notwendigen Wechsel vor und steht dabei erst auf dem einen, dann auf dem anderen Fuß. »Die letzten achtundvierzig Stunden waren ziemlich anstrengend für mich, aber ich werde durchhalten, Mrs. M.«
»Wegen der Sache mit dem Fisherman, nicht wahr?«
Er nickt. »Ich muss jetzt weiter. Der Teufel ist los, wie man so sagt.« Er wendet sich ab, überlegt sich die Sache aber noch einmal anders und dreht sich wieder um. »Sprechen Sie ihm bitte eine Nachricht auf den Recorder in der Küche, ja? Er möchte mich wegen meines Anrufs zurückrufen. Sobald er zurück ist.« Und da ein Gedanke zum nächsten führt, zeigt er auf die unbeschriftete Kassette, die sie in der Hand hält. »Spielen Sie die nicht ab, okay?«
Mrs. Morton zeigt sich sichtlich entsetzt. »Das würde ich nie tun! Das wäre ja so, als ob man anderer Leute Post öffnen würde!«
Jack nickt und bedenkt sie mit einem schwachen Lächeln. »Gut.«
»Ist … ist er auf dem Tonband? Der Fisherman?«
»Ja«, sagt Jack. »Seine Stimme ist darauf.« Und Schlimmeres erwartet uns , denkt er, ohne es auszusprechen . Noch weit schlimmere Dinge.
Er rennt annähernd, als er zu seinem Pickup zurückhastet.
Zwanzig Minuten später stellt Jack seinen Wagen vor dem babyscheißebraunen einstöckigen Haus in der Nailhouse Row Nr. 1 ab. Die Nailhouse Row und das Gewirr schmutziger kleiner Straßen um sie herum erscheinen ihm unter der Sonne dieses hei ßen Sommernachmittags unnatürlich still. Ein Mischlingshund (tatsächlich sogar der alte Köter, den wir erst gestern Abend im Eingang des Hotels Nelson gesehen haben) hinkt über die Kreuzung Ames Street/Country Road, aber das ist ungefähr schon der gesamte Verkehr. Jack hat eine unbehagliche Vision, wie das Walross und der Zimmermann von den hypnotisierten Anwohnern der Nailhouse Row gefolgt das Ostufer des Mississippis entlangwackeln. Aufs Feuer zuwackeln. Und zum Kochtopf.
Er atmet mehrmals tief durch und versucht wieder zur Ruhe zu kommen. Nicht weit außerhalb der Stadt – genauer gesagt, in der Nähe der Zufahrt zum Ed’s Eats – war das hässliche Summen in seinem Kopf noch mehr angeschwollen und hatte sich in etwas verwandelt, was ihm als dunkler Schrei erschienen war. Einige Augenblicke lang war es so stark gewesen, dass Jack schon gefürchtet hatte, er könnte von der Stra ße abkommen, weshalb er mit der Fahrtgeschwindigkeit heruntergegangen war. Dann war das Summen Gott sei Dank allmählich zu seinem Hinterkopf gewandert und abgeklungen. Er nahm das ZUTRITT-VERBOTEN-Schild, das die überwachsene Zufahrt zu Black House bezeichnet, nicht wahr, hielt nicht einmal danach Ausschau, wusste jedoch, dass es da war. Die Frage ist, ob er sich ihm wird nähern können, wenn der Augenblick dafür gekommen ist, ohne einfach zu explodieren.
»Schluss jetzt«, ermahnt er sich. »Keine Zeit für diesen Scheiß.«
Er steigt aus und folgt dann dem rissigen betonierten Fußweg
zum Haus. Auf dem Weg sind die mit Kreide gezeichneten verblassten Kästchen des Spiels »Himmel und Hölle« zu erkennen, und Jack macht unwillkürlich einen Bogen um sie, weil er weiß, dass sie zu den wenigen verbliebenen Artefakten gehören, die davon zeugen, dass ein kleines Mädchen namens Amy St. Pierre einst kurz auf dieser Erde gewandelt ist. Die zur Haustür hinaufführenden Holzstufen sind trocken und splitterig. Er ist schrecklich durstig und denkt: Mann, ich würde einen Mord für ein Glas Wasser oder ein schönes kühles …
Die Haustür fliegt auf und knallt mit einem Schlag, der die sonnige Stille wie ein Pistolenschuss durchfetzt, an die Hauswand. Beezer kommt ins Freie gestürmt.
»Jesses, Mann, ich dachte schon, Sie würden nie mehr aufkreuzen!«
Als Jack den besorgten, gequälten Blick seines Gegenübers sieht, wird ihm klar, dass er diesem Mann niemals wird erzählen dürfen, dass er das Schwarze Haus vermutlich auch ohne Mouse’ Hilfe finden könnte, weil er dank seiner Aufenthalte in den Territorien eine Art Peilempfänger in seinem Kopf hat. Nein, nicht einmal wenn sie für
Weitere Kostenlose Bücher