Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
den Rest ihres Lebens zu der Art enge Freunde würden, die im Allgemeinen keine Geheimnisse voreinander hat. Der Beez hat wie Hiob gelitten; er braucht nicht zu erfahren, dass die Todesqualen seines Freundes vielleicht vergebens waren.
»Lebt er noch, Beezer?«
»Mit knapper Not. Mit verdammt knapper Not. Wir sind bloß noch zu dritt: Doc, Bear Girl und ich. Sonny und Kaiser Bill haben Schiss gekriegt und sich wie verprügelte Hunde verdünnisiert. Los, herein mit Ihnen, Sonnenschein!« Nicht, dass Beezer Jack eine andere Wahl ließe; er packt ihn an der Schulter und schleppt ihn wie ein Gepäckstück in das kleine einstöckige Haus in der Nailhouse Row.
23
»Noch einen!«, sagt der Mann vom landesweiten Sportsender ESPN.
Das klingt mehr befehlend als bittend, und obwohl Henry den Kerl nicht sehen kann, weiß er, dass dieser spezielle Landsmann in seinem Leben niemals Sport getrieben hat, weder als Profi noch sonst wie. Er hat den leicht öligen Fettgeruch eines Menschen an sich, der praktisch von Geburt an immer übergewichtig war. Vielleicht ist die Beschäftigung mit Sport seine Kompensation, weil sie die Macht besitzt, Erinnerungen an Kleidung, die von einem Versandhandel für Übergrößen stammt, auszulöschen – und an all die Kinderspottverse wie »Dickerchen, frisst wie vier, schafft den Wanst nicht durch die Tür«.
Er heißt Penniman. »Genau wie Little Richard!«, hat er Henry erklärt, als sie sich in der Radiostation die Hand geschüttelt haben. »Berühmter Rock’n’ Roller in den Fünfzigerjahren. Vielleicht erinnern Sie sich an ihn.«
»Halbwegs«, sagte Henry, als hätte er nicht früher einmal jede Single besessen, die Little Richard jemals herausgebracht hat. »Ich glaube, er war einer der Gründerväter.« Penniman lachte schallend, und dieses Lachen deutete Henry flüchtig als eine mögliche Zukunft für sich selbst. Aber war das eine Zukunft, die er wollte? Die Leute haben auch über Howard Stern gelacht, aber Howard Stern war ein Trottel.
»Noch einen Drink!«, ruft Penniman jetzt. Sie sitzen in der Bar des Oak Tree Inn, in der Penniman dem Barkeeper fünf
Dollar Trinkgeld gegeben hat, damit er den Fernseher von Bowling bei ABC auf ESPN umschaltet, obwohl sein Sender um diese Tageszeit nichts außer Tipps für Golfer und Barsch-Angler bringt. »Noch einen Drink, nur um den Deal zu besiegeln!«
Dabei haben sie noch gar keinen Deal abgeschlossen, und Henry ist sich noch nicht einmal sicher, ob er einen abschlie ßen will. Als George Rathbun im Rahmen des ESPN-Rundfunkpakets in ganz Amerika ausgestrahlt zu werden wäre bestimmt attraktiv, und er hat kein ernstliches Problem damit, seine Sendung von »Fragen über Fragen« in etwas anderes umzutaufen – ihr Schwerpunkt würde weiterhin in der Mitte und im Norden der USA liegen -, aber …
Was tun?
Bevor Henry auch nur anfangen kann, sich diese Frage vorzunehmen, riecht er es wieder: My Sin, das Parfüm, das seine Frau an gewissen Abenden zu tragen pflegte, wenn sie ein gewisses Signal aussenden wollte. Lerche, so nannte er sie an diesen gewissen Abenden, wenn das Zimmer dunkel war und sie beide blind für alles außer Gerüchen und Strukturen und einander waren.
Lerche.
»Also, ich glaube, auf diesen Drink verzichte ich lieber«, sagt Henry. »Ich habe zu Hause noch zu arbeiten. Aber ich werde mir Ihr Angebot durch den Kopf gehen lassen. Ernsthaft.«
»Ah-ah-ah«, sagt Penniman, und Henry schließt aus winzigen Luftwirbeln, dass der Mann mit dem Zeigefinger unter seiner Nase herumfuchtelt. Henry fragt sich, wie Penniman reagieren würde, wenn er plötzlich den Kopf vorstrecken und den Anstoß erregenden Finger am zweiten Gelenk abbeißen würde. Wenn er ihm etwas Coulee-Country-Gastfreundschaft à la Fisherman erweisen würde. Wie laut würde Penniman brüllen? Vielleicht so laut wie Little Richard vor dem Instrumentalbreak in »Tutti Frutti«? Oder nicht ganz so laut?
»Sie können nicht gehen, bevor ich so weit bin, Sie heimzufahren«, erklärt Mr. Ich-bin-fett-aber-das-macht-nichts-mehr ihm. »Ich bin immerhin Ihr Fahrer.« Er ist beim vierten Gimlet
angelangt und spricht leicht undeutlich. Mein Freund, denkt Henry, ich würde mir lieber ein Frettchen in den Hintern stecken, als mich in einen Wagen mit dir am Steuer zu setzen.
»Doch, das kann ich sehr wohl«, sagt Henry freundlich. Nick Avery, der Barmann, erlebt einen lukrativen Nachmittag: Der fette Kerl hat ihm einen Fünfer zugesteckt, damit er das Fernsehprogramm
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