Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
erfriert.
Die Nachricht vom Abtrünnigwerden der fiktiven Althea Burnside löst eine ähnliche, wenn auch schwächere Wirkung aus. Das Ganze ist nicht zu billigen, und er sollte, ja darf es nicht zulassen.
»Yeah«, sagt er. »Wir müssen ein paar Dinge klären. Wir sollten eine Vereinbarung treffen.«
Er steht auf, weil ihn Geräusche, die aus dem Zentrum von French Landing zu kommen scheinen, zur Eile antreiben. Er hört Polizeisirenen heulen, mindestens zwei, vielleicht sogar
drei. Burny weiß es nicht bestimmt, aber er vermutet zumindest, dass dieser Jack Sawyer inzwischen die Leiche seines Freundes Henry aufgefunden hat; nur dass dieser Henry zuvor leider nicht ganz tot war, sondern noch mitteilen konnte, dass er die Stimme seines Mörders erkannt habe. Also hat Jack den Cop-Shop angerufen, und nun ist’s so weit.
Sein nächster Schritt bringt ihn vor den Schreibtisch. Er wirft einen Blick auf die dort liegenden Papiere und erfasst sofort ihre Bedeutung.
»Bücher frisieren, hä? Sie sind nicht nur’ne Arschgeige, Sie sind auch ein mieser kleiner Zahlenjongleur.«
In einem erstaunlich kurzen Zeitraum zeichnet sich auf Chipper Maxton Gesicht ein gewaltiges Empfindungsspektrum ab. Zorn, Überraschung, Verwirrung, gekränkter Stolz, Wut und Ungläubigkeit ziehen in rascher Folge über die Landschaft des Gesichts, während Burnside hinter sich greift und die Heckenschere herauszieht. In dem kleinen Büro wirkt sie grö ßer und aggressiver als in Henry Leydens Wohnzimmer.
Chipper erscheinen die Schneiden lang wie Sensenblätter. Und als er sich von ihnen losreißt und zu dem vor ihm stehenden Alten aufsieht, blickt er in ein Gesicht, das weitaus mehr dämonisch als menschlich zu bezeichnen ist. Burnsides Augen leuchten jetzt rot, und unter hochgezogenen Lefzen fletscht der Mann grausige Zähne, die wie Spiegelglassplitter glitzern.
»Rühren Sie mich nicht an, Kumpel!«, quiekt Chipper. »Die Polizei ist praktisch schon hier.«
»Ich bin nicht taub.« Burny stößt ihm eine Schneide in den Mund und lässt die Heckenschere dann über der schweißnassen Backe zuschnappen. Blut schießt über den Schreibtisch, und Chipper reißt entsetzt die Augen auf. Burny ruckt an der Heckenschere, worauf mehrere Zähne und ein Stück von Chippers Zunge aus der klaffenden Wunde fliegen. Er stemmt sich hoch und beugt sich nach vorn, um die Schneiden der Heckenschere zu packen. Burnside tritt einen Schritt zurück und schnippt ihm die halbe rechte Hand ab.
» Hoppla, ist die aber scharf«, sagt er.
Maxton kommt hinter dem Schreibtisch hervor auf ihn zugetorkelt,
verspritzt nach allen Seiten Blut und brüllt wie ein Elch. Burny weicht aus, weicht zurück und stößt die Schneiden in die Wölbung des blauen Hemdes mit Buttondown-Kragen, das sich über Chippers Wanst spannt. Als er sie wieder herauszieht, sackt Chipper zusammen, stöhnt, sinkt auf die Knie. Blut strömt aus ihm heraus wie aus einem umgestoßenen Krug. Er fällt nach vorn auf die Ellbogen. Chipper Maxtons gute Laune ist verflogen; er schüttelt den Kopf und murmelt etwas, was wie das Flehen klingt, in Ruhe gelassen zu werden. Ein blutunterlaufenes, ochsenartiges Auge wendet sich Charles Burnside zu und drückt stumm eine seltsam unpersönliche Bitte um Erbarmen aus.
»Barmherzige Mutter«, sagt Burny, »ist das Ricos Ende?« Echt komisch – an den Spielfilm Der kleine Cäsar , wo der sterbende Edward G. Robinson diesen Satz sagt, hat er seit Jahren nicht mehr gedacht. Er lacht leise glucksend über seinen Witz, beugt sich nach vorn und setzt die Schneiden auf beiden Seiten von Chippers Hals an. Es gelingt ihm fast, ihm den Kopf ganz abzutrennen.
Die Sirenen biegen heulend in die Queen Street ein. Bald werden Polizeibeamten über den Gehsteig rennen; bald werden sie in die Eingangshalle stürmen. Burnside lässt die Heckenschere auf Chippers breiten Rücken fallen und bedauert es etwas, dass ihm nun keine Zeit mehr bleibt, auf dessen Körper zu pissen oder auf den Kopf zu scheißen, aber Mr. Munshun grummelt bereits wieder, dass es Zeid, Zeid, Zeid ist.
»Ich bin doch nicht blöd, das weiß ich selbst«, sagt Burny. Er tapst aus dem Büro und weiter durch Ms. Vilas’ Kabuff. Beim Hinaustreten in die Eingangshalle kann er die Blinklichter auf den Dächern von zwei Streifenwagen sehen, die hinter der Hecke die Straße entlangfahren. Sie halten nicht weit von der Stelle entfernt, an der er erstmals die Hände um Tyler Marshalls schlanken Knabenhals gelegt
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