Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
hat. Burny hastet nun etwas schneller weiter. Als er den Beginn des Gangs im Daisy erreicht, brechen zwei babygesichtige Polizeibeamten durch die Lücke in der Hecke.
Weiter hinten im Gang erhebt sich gerade Butch Yerxa und
reibt sich das Gesicht. Er blickt Burnside an und fragt: »Was ist passiert?«
»Gehen Sie nach vorn«, sagt Burny. »Bringen Sie die Polizisten ins Büro. Maxton ist verletzt.«
»Verletzt?« Butch, der wie gelähmt dasteht, starrt Burnsides blutige Kleidung und von Blut triefende Hände an.
»Los!«
Butch stolpert vorwärts, während gleichzeitig die beiden jungen Polizeibeamten durch die breite Glastür gestürmt kommen, von der inzwischen Rebecca Vilas’ Plakat zum Erdbeerfest abgenommen worden ist. »Ins Büro!«, ruft Butch und zeigt nach rechts. »Der Boss ist verletzt!«
Während Yerxa auf die Bürotür zeigt, indem er mit der Rechten an die Wand schlägt, huscht Charles Burnside an ihm vorbei. Im nächsten Augenblick hat er die Herrentoilette im Daisy erreicht und schlüpft dort in eine der WC-Kabinen.
Und was ist mit Jack Sawyer? Das wissen wir bereits. Beziehungsweise wissen wir, dass er auf einem weichen Lager zwischen dem Rand eines Maisfelds und einem Hügel auf der Westseite des Norway Valley eingeschlafen ist. Wir wissen, dass sein Körper leichter, weniger substanziell, wolkig wurde. Dass er verschwommen und durchsichtig wurde. Wir können annehmen, dass Jack einen bestimmten erholsamen Traum hatte, bevor sein Körper durchsichtig wurde. Und in diesem Traum, so können wir weiter vermuten, suggeriert ein rotkehlcheneiblauer Himmel den Bewohnern einer eleganten Villa am Roxbury Drive, Beverly Hills, unendliche Weite, und Jacky ist sechs, sechs, sechs oder zwölf, zwölf, zwölf – oder beides zugleich – und Daddy improvisiert cool auf seinem Blech, Blech, Blech. (»Darn That Dream«, verflixter Traum, das hätte Henry Shake uns erzählen können, ist der letzte Song auf der Schallplatte Daddy Plays the Horn von Dexter Gordon – ein cooler Typ, wenn’s je einen gegeben hat.) In diesem Traum begab sich jeder auf eine Reise, und niemand reiste irgendwohin, und ein wandernder Junge errang eine höchst wundervolle Trophäe, und Lily Cavanaugh Sawyer fing eine Biene in einem Glas. Sie trug sie lächelnd zur Schwingtür und
entließ sie ins Freie. Also flog die Biene weit, weit weg nach Anderland, und während sie unterwegs war, zitterten und bebten Welten über Welten auf ihren geheimnisvollen Bahnen, und auch Jack war auf seiner eigenen geheimnisvollen Bahn ins endlose Rotkehlcheneiblau unterwegs und kehrte im Kielwasser der Biene unfehlbar in die Territorien zurück, wo er auf einem stillen Feld schlafend lag. So wird in diesem verflixten Traum Jack Sawyer, ein Mensch, der jünger als zwölf und älter als dreißig ist, der von Trauer und Liebe gleichermaßen wie benommen ist, im Schlaf von einer bestimmten Frau voll zärtlicher Fürsorge besucht. Sie streckt sich neben ihm auf seinem Bett aus weichem Gras aus und nimmt ihn in die Arme, und sein dankbarer Körper empfindet die Glückseligkeit ihrer Berührung, ihres Kusses, ihres heilenden Segens. Was sie dort allein in den fernen Territorien tun, geht uns nichts an, aber wir fügen Sophies Segen unseren eigenen hinzu und überlassen die beiden etwas, was schließlich – mit der sanftestmöglichen Dringlichkeit – ihre Angelegenheit ist, eine Angelegenheit, die diesen Jungen und dieses Mädchen, diesen Mann und diese Frau, dieses liebe Paar segnet, wie es sonst nichts und niemand kann, ganz bestimmt nicht wir.
Wie es sich gehört, wird die Rückkehr von den sauberen, gehaltvollen Gerüchen von Humus und Mais und dem Weckruf eines Hahns auf der Farm von Gilbertsons Vettern begleitet. Ein Spinnennetz mit glitzernden Tautropfen fesselt den Schuh an Jacks linkem Fuß an einen bemoosten Felsbrocken. Eine Ameise, die Jack über das rechte Handgelenk krabbelt, trägt ein von einem Grashalm stammendes Blatt, in dessen V-förmiger Längskerbe ein glänzender, frisch entstandener Wassertropfen zittert. Jack, der sich wundersam erholt fühlt, so als wäre auch er neu erschaffen, schiebt die schwer arbeitende Ameise vom Handgelenk, befreit den Schuh aus dem Spinnennetz und steht auf. Tau glitzert in seinem Haar und seinen Augenbrauen. Eine halbe Meile hinter ihm beschreibt Henrys Wiese einen Bogen um Henrys Haus. Tigerlilien beben in der kühlen Morgenbrise.
Tigerlilien beben …
Als er die Motorhaube seines Pickups
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