Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
brennende Gebäude wird immer größer, je näher er ihm kommt. Heulen und Geschrei steigen aus dem Gebäude auf, und es ist von einem grotesken Vorfeld mit toten, verkohlten Bäumen und rauchender Asche umgeben. Dieser Bereich vergrößert sich mit jeder Sekunde, als verschlänge das brennende Gebäude Stück für Stück die Natur in seiner Umgebung. Alles ist verloren, und das brennende Gebäude und das seelenlose Ungeheuer, das zugleich sein Herr und sein Gefangener ist, werden triumphieren, das Land bis in alle Ewigkeit verheeren, amen. Din-tah, das gewaltige Feuer, das alles auf seinem Pfad verschlingt.
Die Bäume rechts voraus biegen sich und verdrehen ächzend die Zweige, und die dunklen, scharf zugespitzten Blätter geraten in heftige Bewegung. Die riesigen Stämme verbeugen sich knarrend, und die Zweige winden sich wie Schlangen umeinander, sodass eine geschlossene Fläche aus dunkelgrauen, spitzen Blättern entsteht. Aus dieser Fläche tritt quälend langsam das Abbild eines hageren, knochigen Gesichts hervor. Vom Scheitel bis zum Kinn misst dieses Gesicht eineinhalb Meter; es quillt aus der Laubfläche hervor und wendet sich auf der Suche nach Jack von einer Seite zur anderen.
Es verkörpert alles, was ihn jemals auf dieser Welt oder in den Territorien erschreckt, ihn verletzt, ihm Böses gewünscht hat. Das Riesengesicht hat eine verschwommene Ähnlichkeit mit Elroy, einem Ungeheuer in Menschengestalt, das einst versucht hat, Jack in einer elenden Bar namens Oatley Tap zu vergewaltigen, dann sieht es Morgan von Orris ähnlich, dann Sunlight Gardener, dann Charles Burnside, aber während es seine blinde Suche von einer Seite zur anderen fortsetzt, scheinen alle diese bösen Gesichter einander zu überlagern, um zu einem einzigen zu verschmelzen. Unbeschreibliche Angst lässt Jack zu Stein erstarren.
Das aus einem Wust von Laub quellende Gesicht sucht das untere Wegstück ab, dann schwenkt es zurück und stellt auf einmal die ruckartigen Bewegungen von einer Seite zur anderen ein. Es ist jetzt unmittelbar auf ihn gerichtet. Die blinden
Augen sehen ihn, die Nase ohne Nasenlöcher wittert ihn. Eine Woge freudiger Erregung läuft durch die Blätter, und das Gesicht wölbt sich weiter vor, wird größer und immer größer. Jack, der wie gelähmt ist, wirft einen Blick über seine Schulter und sieht dort einen Verwesenden, der sich auf seinem schmalen Lager hochstemmt. Der Mann reißt den Mund auf und brüllt: »D’yamba!«
Mit wild hämmerndem Herzen und einem in der Kehle ersterbenden Schrei springt Jack aus dem Bett und landet auf den Füßen, bevor er recht erfasst, dass er aus einem Traum aufgeschreckt ist. Er scheint am ganzen Körper zu zittern. Schweiß läuft ihm über die Stirn und tropft auf die Brust. Das Zittern hört allmählich auf, indem er wahrnimmt, was ihn in Wirklichkeit umgibt: kein abscheuliches Riesengesicht, das aus einem Laubwall quillt, sondern die vertraute Räumlichkeit seines Schlafzimmers. An der Wand gegenüber hängt das Gemälde, das er Dale Gilbertson schenken will. Er fährt sich übers Gesicht, er beruhigt sich. Er muss unter die Dusche. Seine Armbanduhr zeigt ihm, dass es jetzt 9.47 Uhr ist. Er hat vier Stunden geschlafen, und jetzt wird es allmählich Zeit, wieder in Gang zu kommen.
Etwa eine Dreiviertelstunde später ruft Jack – geduscht, angezogen und genährt – die Polizeistation an und verlangt Chief Gilbertson zu sprechen. Um 11.25 Uhr lassen er und der zweifelnde, frisch aufgeklärte Dale, der dringend Beweise für die verrückte Geschichte seines Freundes sehen möchte, den Wagen des Chiefs unter dem einzelnen Baum auf dem Parkplatz der Sand Bar stehen und gehen über den heißen Asphalt an zwei auf ihren Seitenständern lehnenden Harleys vorbei in Richtung Hintereingang.
TEIL VIER
Black House und darüber hinaus
26
Wir haben unser kleines Gespräch über Verwerfungen geführt, und das Spiel ist zu weit fortgeschritten, als dass wir uns länger darüber verbreiten könnten, aber würde nicht jeder sagen, dass die meisten Häuser den Versuch darstellen, Verwerfungen hintanzuhalten? Der Welt zumindest die Illusion von Normalität und Vernunft aufzudrücken? Denken wir an Libertyville mit seinen kitschigen, aber liebenswerten Straßennamen: Camelot und Avalon und Maid Marian Way. Oder denken wir an das entzückende, scheinbar geradewegs aus Neuengland importierte Häuschen, in dem Fred, Judy und Tyler Marshall einst miteinander lebten. Wie anders könnte
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