Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
vier nebeneinander angeordneten WC-Kabinen zu. Er betritt die zweite von links und schließt die Tür hinter sich.
Tyler will gerade wieder losfahren, als es drei Meter von dem Erdbeerfestplakat entfernt in der Hecke raschelt. Eine große schwarze Rabenkrähe zwängt sich aus dem Laubwerk und hüpft auf den Gehsteig der Queen Street. Sie betrachtet den Jungen mit lebhaftem, verständigem Blick. Sie steht mit gespreizten schwarzen Beinen da, öffnet den Schnabel und spricht. »Gorg!«
Tyler sieht sie an, setzt ein Lächeln auf, weiß nicht recht, ob er das wirklich gehört hat, ist aber bereit, entzückt zu sein (mit seinen zehn Jahren ist er stets bereit, entzückt zu sein, immer geneigt, das Unglaubliche zu glauben). »Was? Hast du etwas gesagt?«
Die Krähe flattert mit ihren glänzenden Flügeln und legt den Kopf auf eine Art schief, die das Hässliche fast charmant wirken lässt.
»Gorg! Ty!«
Der Junge lacht. Sie hat seinen Namen gesagt! Die Krähe hat seinen Namen gesagt!
Er steigt ab, legt sein Rad auf den Gehsteig und macht dann ein paar Schritte auf die Krähe zu. In diesem Augenblick ist ihm – unglücklicherweise – nichts ferner als der Gedanke an Amy St. Pierre und Johnny Irkenham.
Ty hat eigentlich erwartet, dass die Krähe wegfliegen wird, wenn er sich ihr nähert, aber sie flattert nur etwas mit den Flügeln und weicht mit einem Schritt zur Seite ins buschige Dunkel der Hecke zurück.
»Hast du meinen Namen gesagt?«
»Gorg! Ty! Abbalah!«
Für einen Augenblick verblasst Tys Lächeln. Dieses Wort ist ihm halbwegs vertraut, die Assoziationen, die es weckt, sind zwar schwach, aber nicht gerade erfreulich. Aus irgendeinem Grund muss er dabei an seine Mutter denken. Dann sagt die Krähe nochmals seinen Namen; sie sagt eindeutig: »Ty!«
Tyler macht einen weiteren Schritt von der Queen Street weg und auf den schwarzen Vogel zu. Parallel dazu macht die Krähe neuerlich einen Schritt zur Seite, der sie weiter ans Dickicht der Hecke heranbringt. Auf der Straße ist niemand unterwegs; dieses Viertel von French Landing träumt in der Morgensonne. Ty macht einen weiteren Schritt ins Verderben, und alle Welten beben.
Ebbie, Ronnie und T. J. kommen großspurig aus dem 7-Eleven, in dem der Turbankopf hinter der Theke sie gerade mit Heidelbeer-Eislutschern bedient hat ( Turbankopf ist nur einer der vielen abfälligen Ausdrücke, die Ebbie von seinem Dad aufgeschnappt hat). Sie haben auch neue Päckchen Magic Cards, jeder zwei Päckchen.
Ebbie, dessen Lippen blau verschmiert sind, wendet sich an T. J. »Fahr die Straße runter und hol den Langweiler.«
T. J. macht ein beleidigtes Gesicht. »Wieso ich?«
»Weil Ronnie die Karten gekauft hat, Blödmann. Los, beeil dich.«
»Wozu brauchen wir ihn überhaupt, Ebbie?«, fragt Ronnie. Er lehnt am Fahrradständer, kaut die kalten, süßen Eisbrocken.
»Weil ich’s sage«, antwortet Ebbie überheblich. Tatsache ist, dass Tyler Marshall an Freitagen meistens Geld hat. Eigentlich hat Tyler sogar an fast allen Tagen Geld. Seine Eltern haben schwer Kohle. Aus diesem Grund empfindet Ebbie, der von einem allein stehenden Vater erzogen wird (wenn man’s so nennen kann), der einen beschissenen Job als Hausmeister hat, bereits einen unterschwelligen Hass auf Tyler; die ersten Demütigungen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen, und die ersten Prügel werden bald folgen. Aber jetzt will er nur weitere Magic Cards, ein drittes Päckchen für jeden.
Dass Tyler gar keine Magic Cards mag, macht es nur noch reizvoller, ihn dafür blechen zu lassen.
Aber zuerst müssen sie den kleinen Langweiler hier raufholen. Oder den kleinen Wang-leiler, wie der sprachgestörte Ronnie ihn nennt. Der Ausdruck gefällt Ebbie, und er findet, dass er ihn in Zukunft benützen sollte. Wang-leiler … Ein gutes Wort. Verspottet Ty und Ronnie gleichzeitig. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
»Mach ran, T. J. Außer du willst’ne Kopfnuss.«
T. J. will keine. Ebbie Wexlers Kopfnüsse sind verdammt schmerzhaft. Er seufzt theatralisch, zieht sein Rad rückwärts aus dem Fahrradständer, steigt auf und fährt mit der Lenkstange in einer Hand und dem Wassereis in der anderen wieder den sanft abfallenden Hügel hinunter. Er geht davon aus, Ty gleich zu sehen – vermutlich wie dieser sein Rad schiebt, weil er einfach … so … müüüde ist -, aber Ty scheint gar nicht auf der Chase Street zu sein. Was ist da los?
T. J. strampelt etwas schneller.
Auf der Herrentoilette
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