Das schwarze Manifest
Dreifaltigkeitsturm, in dem sich rechter Hand die Mannschaftsräume der Präsidentengarde befinden. General Korin war in seinem Büro und telefonierte mit dem Verteidigungsministerium.
»Geben Sie mir den ranghöchsten Offizier vom Dienst!« rief er. Es folgte eine Pause, und dann hörte er eine ihm bekannte Stimme.
»Hier Butow, stellvertretender Verteidigungsminister.«
»Gott sei Dank, daß Sie da sind. Wir haben ein Problem. Hier findet irgendein Staatsstreich statt. Ostankino ist verloren. Das MVD wird angegriffen, vor dem Kreml steht eine Kolonne gepanzerter Fahrzeuge und Mannschaftswagen. Wir brauchen Hilfe.«
»Die werden Sie bekommen. Was benötigen Sie?«
»Alles. Wie steht es mit der Dserschinski?«
Er bezog sich damit auf eine mobile Infanteriedivision für besondere Aufgaben, die nach dem Putschversuch von 1991 ausschließlich als Einheit zur Abwehr eines Staatsstreichs konzipiert worden war.
»Die ist in Riasan. In einer Stunde kann sie unterwegs sein, dann wäre sie in drei Stunden bei Ihnen.«
»So rasch wie möglich. Wie steht's mit den VDV?«
Er wußte, daß kaum eine Flugstunde entfernt eine Elitebrigade der Fallschirmspringer lag, die über dem Flugplatz Khodinka abspringen konnte, falls es ihnen gelang, die Flugleitfeuer für die Männer einzuschalten.
»Sie kriegen alles, was ich Ihnen besorgen kann, General. Einen Moment, bitte.«
Eine Gruppe von Schwarzgardisten stürmte unter dem Abwehrfeuer ihrer Maschinengewehre vor, erreichte den Schutz des überdachten Borowitskitors und brachte Plastiksprengstoff an allen vier Scharnieren an. Als sich die Gruppe zurückzog, fielen zwei Leute im Feuer der Männer auf den Festungsmauern. Sekunden später gingen die Ladungen hoch. Die zwanzig Tonnen schweren Holztore bebten, als die Angeln zerbarsten, taumelten und krachten dann zu Boden.
Ungeachtet des Gewehrfeuers fuhr ein Panzerwagen über die Zufahrt in den Schutz des Torbogens. Die Holztore hatten den Blick auf ein riesiges Stahlgitter freigegeben, hinter dem jetzt auf dem Parkplatz, auf dem die Touristen so gern spazierengingen, ein Soldat der Präsidentengarde zu sehen war, der mit einer Panzerabwehrrakete durch das Gitter auf den Panzerwagen zielte. Doch noch ehe er feuern konnte, wurde er von der Kanone auf dem Panzer zerfetzt.
Schwarzgardisten sprangen aus dem Bauch des gepanzerten Fahrzeugs und brachten weitere Sprengladungen am Stahlgitter an. Kaum waren die Angreifer wieder in Sicherheit, fuhr der Panzerwagen wieder außer Reichweite, bis die Ladungen explodierten und das Gitter trunken an einem einzelnen Scharnier baumelte. Dann preschte das Fahrzeug vor und riß das Gitter ab.
Trotz des Kugelhagels stürmten die Schwarzgardisten in die Festung und stellten sich in vierfacher Übermacht der Präsidentengarde. Einige Verteidiger zogen sich auf die verschiedenen Bastionen und Kasematten zurück, die die Mauern des Kremls säumten, andere verteilten sich über die dreiundsiebzig Morgen große Fläche von Palästen, Waffenkammern, Kathedralen, Gärten und Plätzen des Kreml; an manchen Orten wurde Mann gegen Mann gekämpft. Allmählich gewannen die Schwarzgardisten die Oberhand.
»Was zum Teufel ist eigentlich los, Jason?«
Umar Gunajew war am Telefon.
»Grischin will Moskau und damit ganz Rußland einnehmen, mein Freund.«
»Geht's Ihnen gut?«
»Bis jetzt noch, ja.«
»Wo sind Sie?«
»Ich fahre von Ostankino nach Süden und versuche, den Lubjankaplatz zu meiden. Warum?«
»Einer meiner Männer ist gerade die Twerskaja heraufgefahren. Da treibt sich eine Riesenmeute von diesen BNR-Schlägern herum und prügelt sich ins Büro des Bürgermeisters vor.«
»Sie wissen, was die Bewegung Neues Rußland von Ihnen und Ihren Leuten hält?«
»Natürlich.«
»Warum lassen Sie da nicht ein paar von Ihren Jungs alte Rechnungen begleichen? Diesmal wird sich bestimmt niemand einmischen.«
Eine Stunde später tauchten dreihundert bewaffnete Tschetschenen in der Twerskajastraße auf, wo die Typen von der BNR im Amtsgebäude der Stadt Moskau herumrandalierten. Auf der anderen Straßenseite saß die Statue von Juri Dolgoruki, dem Gründer Moskaus, auf ihrem steinernen Pferd und starrte voller Verachtung auf sie herab. Die Tür zum Rathaus war zertrümmert und stand weit offen.
Die Tschetschenen zückten ihre langen kaukasischen Messer, ihre Revolver und Mini-Uzis und gingen hinein. Sie alle erinnerten sich an die Vernichtung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny im Jahr 1995 und an
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