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Das Schwarze Weib

Titel: Das Schwarze Weib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Wolff
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lösende Ketten von ihr ab. –
    Endlich läutete die Weinbergglocke, die von jetzt an täglich zweimal ihre Stimme erhob, um den Winzern morgens die Erlaubnis zum Beginn und abends den Befehl zum Schluß des Lesens zu geben. Denn es war ein alter Brauch, daß die Stunden zu diesem Geschäft von Amts wegen bestimmt und begrenzt wurden. Früher oder später als die Glocke rief, durfte niemand Trauben schneiden. Es lasen auch nicht alle Winzer zu gleicher Zeit, sondern der eine an diesen, der andere an jenen Tagen, und die befreundeten Familien halfen sich dabei gegenseitig. Denn das Herbsten mußte so schnell wie möglich vor sich gehen, ehe ein plötzlich heraufziehendes Unwetter oder ein sich frühzeitig einstellender Nachtfrost das vollreife Gewächs beschädigen oder gar vernichten konnte.
    Über die Reihenfolge der Lesen in den einzelnen Wingerten hatten sich die Wachenheimer längst geeinigt, und Christoph Armbruster gehörte diesmal zu den ersten, die mit einem Wagen, mit Kübeln, Logen und Bütten fröhlich hinauszogen, um den winkenden Segen einzuheimsen, den ihnen eine fast unausgesetzte Jahresarbeit und ein gnädiger Himmel geschaffen hatten.
    An den oft schweren Mühen, die das Gedeihen der Reben erforderte, nahm er persönlich, soweit es seine Zeit neben der Erledigung seiner Amtsgeschäfte gestattete, tätigen Anteil, den er sich nicht verkürzen ließ. Als Madlen ihn einmal darauf hingewiesen hatte, daß solche Tagelöhnerarbeit ihm in seiner Stellung doch eigentlich nicht gezieme, hatte er ihr geantwortet: »Wir sind ein altes, freies Bauerngeschlecht, Madlen. Meine Altvordern, soweit ich von ihnen Kunde habe, sind Bauern und Winzer gewesen, haben sich geplagt und gerackert und die Früchte ihres Fleißes in Zufriedenheit genossen, und so wie sie will ich es auch halten. Bei mir kommt erst der Bauer und dann der Bürgermeister, und genau so hat mein Vater selig gedacht; auch er war Bürgermeister von Wachenheim und hat doch im Schweiße seines Angesichts seinen Wingert gegraben und gerührt, gedüngt und geseilt, wie ich es tue und niemals davon lassen werde, so lange ich die Kraft dazu habe. Es ist meine Freude und mein Stolz, meinen eigenen Grund und Boden selber zu bebauen, und wenn ich von meinem reinen, durch keinerlei Zutat vermanschten Wein trinke, will ich das Bewußtsein haben: den hast du nur Gott und deiner Arbeit zu danken, hast ihn selber geherbstet und gekeltert, und in jedem Tropfen, der dir über die Zunge geht, steckt etwas von deinem Tun und Können. Ich möchte ihn nicht mehr trinken, wenn ich ihn nicht mehr bauen könnte. Und dabei soll's bleiben, mein liebes Alterchen! komm mir nicht wieder damit, daß sich für den Bürgermeister nicht schicke, was dem Bauer gebührt und den Bauer ehrt!« Danach hatte er den Karst auf die Schulter genommen, war mit langen Schritten nach seinem Rebenland gegangen und hatte dort gescharwerkt wie ein in Lohn und Brot stehender Wingertsmann.
    Seine Mitbürger kannten diesen echten Bauernstolz an ihm, den sie in ihrer Mehrzahl selber besaßen. Sie wußten, daß er sie alle mit seinen geistigen Fähigkeiten übersah, sich aber nicht überhob, sondern auch als erwähltes Haupt der Gemeinde ihresgleichen sein wollte und sich nichts Besseres zu sein dünkte als der geringsten einer von ihnen. Und das schlugen sie ihm hoch an und vergaßen ihm zu keiner Stunde, auch nicht im heftigsten Widerspruch der Ansichten und Meinungen. –
    Die Tage der Armbruster zum Lesen kamen heran, und die Familie Gersbacher wollte ihnen dabei nach langjähriger Gewohnheit Beistand leisten.
    Florian Gersbacher war der reichste Winzer in Wachenheim und sein Hof der größte und stattlichste von allen. Er war ein breitspurig auftretender, eigenwilliger Gesell, der auf seinen Geldbeutel pochte und am Stammtisch beim Kronenwirt das große Wort führte. Der einzige, der ihn mit seiner unerschütterlichen Ruhe und Sicherheit ducken konnte, wenn er sich gar zu protzig aufspielte, war Christoph Armbruster, zu dem er in ehrlicher Freundschaft hielt und den er im Stadtrate, dessen einflußreichstes Mitglied Gersbacher war, gelegentlich und dann auch kräftig unterstützte, weil er Christophs gründliche Einsicht und Erfahrung im Gemeindewesen anerkennen mußte. Denn er war ein Mensch mit klarem Verstand und nicht ohne Gerechtigkeitssinn; manche sagten ihm sogar eine nicht allzuweit gehende Gutmütigkeit nach. In seinen nicht eben seltenen Streitigkeiten mit den Feldnachbarn mußte seine

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