Das Schweigen der Laemmer
Ihnen gelingen, das herauszufinden?«
»Ja, das kann ich.«
»Wo würden Sie anfangen?«
»Bei seinem Erbschaftsverwalter.«
»Einem Rechtsanwalt in Baltimore, einem Chinesen, wie ich mich zu erinnern glaube.«
»Everett Yow«, sagte Starling. »Er steht im Baltimorer Telefonbuch.«
»Haben Sie irgendeinen Gedanken an das Problem eines Durchsuchungsbefehls für Raspails Wagen verschwendet?«
Manchmal erinnerte Crawfords Ton Starling an die besserwis-serische Raupe bei Lewis Carroll.
Starling wagte nicht, es ihm zurückzugeben, jedenfalls nicht sehr.
»Da Raspail verstorben ist und wegen nichts verdächtig wird, ist es eine rechtsgültige Durchsuchung, wenn wir die Genehmigung seines Erbschaftsverwalters zum Durchsuchen des Wagens haben, und das Resultat ist statthafter Beweis in anderen Rechts-dingen«, führte sie an.
»Genau«, erwiderte Crawford. »Ich will Ihnen was sagen: Ich setze die Außenstelle Baltimore davon in Kenntnis, daß Sie dort sein werden. Samstag, Starling, in Ihrer Freizeit. Dann spüren Sie mal das Resultat auf, wenn es eins gibt.«
Crawford unternahm eine geringfügige, erfolgreiche Anstrengung, ihr nicht nachzusehen, als sie ging. Aus seinem Papierkorb gabelte er mit den Fingern einen Knäuel schweren mauvefarbe-nen Briefpapiers auf. Er strich es auf seinem Schreibtisch glatt. Es ging um seine Frau, und in einnehmender Handschrift stand darauf:
O streitsüchtige Schulen, die da suchen, welch Feuer Diese Welt verbrennen wird, hätte keine den Geist, Dies Wissen zu erstreben, Daß es ihr Fieber sein könnte?
Es tut mir so leid wegen Bella, Jack.
Hannibal Lecter
8. Kapitel
Everett Yow fuhr einen schwarzen Buick mit einem De-Paul-University-Aufkleber auf dem Rückfenster. Sein Gewicht verlieh dem Buick eine leichte Neigung nach links, als Clarice Starling ihm im Regen aus Baltimore hinaus folgte. Es war fast dunkel; Starlings Tag als Ermittlerin war beinahe vorüber, und sie hatte keinen weiteren Tag mehr, um ihn zu ersetzen. Sie mußte ihre Ungeduld be-zähmen und klopfte mit den Scheibenwischern im Takt gegen das Lenkrad, während der Verkehr im Schneckentempo die Route 301
hinunterfuhr.
Yow war intelligent, dick und hatte Atmungsbeschwerden.
Starling schätzte sein Alter auf sechzig. Bislang war er entgegen-kommend gewesen. Der verlorene Tag war nicht seine Schuld; am Spätnachmittag von einer einwöchigen Geschäftsreise nach Chicago zurückgekehrt, war der Rechtsanwalt aus Baltimore direkt vom Flughafen zu seinem Büro gekommen, um Starling zu treffen.
Raspails klassischer Packard war lange vor seinem Tod eingela -
gert worden, erklärte Yow. Er war nicht zugelassen und nie gefahren worden. Yow hatte ihn ein einziges Mal gesehen, zugedeckt und in einem Lager untergestellt, um sein Vorhandensein für die Liste des Bestandsverzeichnisses über die Erbmasse zu bestätigen, das er kurz nach dem Mord an seinem Klienten aufstellte.
Wenn Ermittlerin Starling einwilligte, nichts, was sie fände, das für die Interessen seines verstorbenen Klienten schädlich sei, »sofort offen zu enthüllen«, würde er ihr das Fahrzeug zeigen, sagte er. Ein Durchsuchungsbefehl und das damit verbundene Aufsehen wäre nicht notwendig.
Für einen Tag genoß Starling die Benutzung eines Plymouth aus dem FBI-Fuhrpark mit einem drahtlosen Telefon, und sie hatte einen von Crawford zur Verfügung gestellten neuen Ausweis. Er lautete einfach auf ERMITTLERIN, FBI - und lief in einer Woche ab, stellte sie fest.
Ihr Ziel war Split City Mini-Storage, ungefähr sechs Kilometer hinter der Stadtgrenze. Während Starling mit dem Verkehr dahin-kroch, benutzte sie ihr Telefon, um möglichst viel über die Depot- anlagen herauszufinden. Als sie das hohe orangene Schild SPLIT
CITY MINI-STORAGE - DEN SCHLÜSSEL BEHALTEN SIE er-spähte, hatte sie einige Fakten erfahren.
Split City hatte eine Frachtspeditionslizenz der Interstate Commerce Commission, die auf den Namen Bernard Gary lautete.
Eine Bundesanwaltsjury hatte Gary vor drei Jahren um ein Haar wegen zwischenstaatlichen Transports gestohlener Güter verur-teilt, und seine Konzession sollte in Kürze wieder überprüft werden.
Yow bog unter dem Schild ein und zeigte einem pickligen jungen Mann in Uniform am Tor seine Schlüssel. Der Pförtner notierte sich ihre Kennzeichen, schloß auf und winkte sie ungeduldig herein, als hätte er Wichtigeres zu tun.
Split City war ein trostloser Ort, durch den der Wind pfiff. Wie der Sonntagsflug scheidungswilliger
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