Das Schweigen der Laemmer
für die psychiatrischen Journale - au-
ßergewöhnliches Zeug -, aber es handelt sich nie um seine eigenen kleinen Anomalitäten. Einmal bei einigen Tests - er saß mit einer Blutdruckmanschette um seinen Penis da und schaute sich grausige Bilder an- tat er so, als machte er mit dem Krankenhaus-leiter, Chilton, mit. Und dann veröffentlichte Lecter als erster das, was er über Chilton erfahren hatte, und machte sich über ihn lustig. Er beantwortet ernsthafte Korrespondenz von Psychiatrie -
Studenten auf Gebie ten, die in keinem Zusammenhang mit seinem Fall stehen. Und das ist alles, was er tut. Wenn er sich nicht mit Ihnen unterhalten will, möchte ich nur normale Berichterstattung. Wie er aussieht, wie seine Zelle aussieht, was er macht. Sozusagen Lokalkolorit. Geben Sie auf ein- und ausgehende Presse-leute acht. Nicht die richtige Presse, die von der Regenbogenpresse. Sie lieben Lecter sogar noch mehr als Prinz Andrew.«
»Hat nicht so ein Schmierblatt ihm fünfzigtausend Dollar für einige Rezepte angeboten? Ich meine mich daran zu entsinnen«, sagte Starling.
Crawford nickte. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß der National Tattier jemanden im Anstaltsbereich gekauft hat, und die wissen vielleicht, daß Sie kommen, nachdem ich den Termin ausgemacht habe.«
Crawford beugte sich vor, bis er ihr aus einem halben Meter Entfernung ins Gesicht sah. Sie schaute zu, wie seine Halbbrille die Ringe unter seinen Augen verschwimmen ließ. Er hatte un-längst mit Mundwasser gegurgelt.
»Also. Ich will Ihre volle Aufmerksamkeit, Starling. Hören Sie mir zu?«
»Jawohl, Sir.«
»Seien Sie mit Hannibal Lecter sehr vorsichtig. Dr. Chilton, der Chef der Heilanstalt, wird mit Ihnen die physische Prozedur durchgehen, die Sie anwenden, um sich mit ihm zu befassen.
Weichen Sie nicht davon ab. Weichen sie nicht aus irgendeinem Grund davon ab. Falls Lecter überhaupt mit Ihnen spricht, wird er nur versuchen, etwas über Sie herauszufinden. Es ist die Art Neugier, die eine Schlange in ein Vogelnest sehen läßt. Wir beide wissen, daß man in Interviews immer ein bißchen vor und zurück muß, aber Sie erzählen ihm nichts Spezielles über sich. Vermeiden Sie unbedingt, daß er Ihre persönlichen Fakten in seinem Kopf speichert.
Sie wissen, was er mit Will Graham angestellt hat?«
»Ich hab' darüber gelesen, als es passierte.«
»Er hat Will ein Linoleummesser in die Därme gerammt, als Will ihn einholte. Es ist ein Wunder, daß Will nicht gestorben ist. Erinnern Sie sich an den Roten Drachen? Lecter setzte Francis Dolarhyde auf Will und seine Familie an. Dank Lecter sieht Wills Gesicht aus, als hätte Picasso ihn gezeichnet. Er hat eine Krankenschwester in der Anstalt in Stücke gerissen. Machen Sie Ihre Arbeit, vergessen Sie bloß nicht, was er ist.«
»Und das wäre? Wissen Sie es?«
»Ich weiß, daß er ein Monster ist. Darüber hinaus kann nie -
mand was mit Gewißheit sagen. Vielleicht finden Sie es heraus; ich habe Sie nicht aus einem Hut gezogen, Starling. Sie haben mir ein paar interessante Fragen gestellt, als ich an der UVA war. Der Chef möchte Ihren eigenen Bericht über Ihrer Unterschrift sehen -
wenn er klar und knapp und übersichtlich ist. Ob er das ist, entscheide ich. Und ich habe ihn Sonntag Punkt 9:00 Uhr. Okay, Starling, machen Sie auf die vorgeschriebene Art und Weise weiter.«
Crawford lächelte sie an, doch seine Augen waren tot.
2. Kapitel
Dr. Frederick Chilton, achtundfünfzig, Verwalter des Baltimore State Hospital für geistesgestörte Straftäter, hatte einen langen, breiten Schreibtisch, auf dem sich keine harten oder scharfen Gegenstände befanden. Einige des Personals nannten ihn ›den Grä-
ber‹; andere Mitarbeiter wußten nicht, was das Wort Graben bedeutete. Dr. Chilton blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen, als Clarice Starling sein Büro betrat.
»Wir haben eine Menge Detektive hier gesehen, aber ich kann mich nicht an einen derart attraktiven entsinnen«, sagte Chilton, ohne aufzustehen.
Starling wußte intuitiv, daß der Glanz auf seiner ausgestreckten Hand Lanolin vom Betasten seines Haars war. Sie ließ seine Hand schnell wieder los.
»Miss Sterling, nicht wahr?«
»Starling, Doktor, mit a. Danke für Ihre Zeit.«
»Jetzt muß das FBI also schon auf Mädchen zurückgreifen, ha, ha.« Er hängte das strahlende Lächeln an, mit dem er seine Sätze zu trennen pflegte.
»Das Bureau verbessert sich, Dr. Chilton. Das tut es zweifelsohne.«
»Sind Sie für einige Tage
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