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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Worte verwirrten sie. Gab es nichts, was sie zum Ausgleich für ihre schlechten Taten tun konnte? Das entsprach nicht dem, was sie gern gehört hätte. »Sie überraschen mich. Wenn gute Taten Gott nicht zur Vergebung bewegen können, was kann es dann?«
    »Nichts. Darum finde ich den Namen dieses Hauses so angemessen. Wir können uns von unseren finsteren Taten nicht freikaufen, Miss Keene. Nur der Herr kann das – und er hat es bereits getan. Wir können nur noch die gnädige Rettung annehmen, die er vor langer Zeit am Kreuz für uns erwirkt hat. Aber« – er lächelte und rieb sich eifrig die Hände – »wir können unseren Mitmenschen dienen und auf diese Weise das Herz unseres himmlischen Vaters erfreuen.«
    Olivia runzelte unwillkürlich die Stirn. »Kann man Gott wirklich eine Freude machen? Ich muss gestehen, ich habe ihn noch nie in diesem Licht betrachtet.«
    »Nein? Wie denken Sie über ihn?«
    Sie zuckte die Achseln und verlagerte wieder das Gewicht des schweren Korbs. »Ich halte ihn vermutlich für einen Gott des Zorns und des Gerichts. Kalt und wütend angesichts unserer Fehler.«
    Er betrachtete sie nachdenklich. »Meine liebe Miss Keene, ist es möglich, dass Sie Ihrem Schöpfer Eigenschaften Ihres menschlichen Vaters zuschreiben?«
    Der Gedanke brachte sie zum Verstummen. Tat sie das? Aber war es nicht natürlich, das zu tun?
    »Gott ist heilig und gerecht, das stimmt«, fuhr Mr Tugwell fort. »Aber gleichzeitig sind seine Liebe und Gnade unendlich. Er liebt Sie, Olivia, egal, was Sie tun oder unterlassen.«
    Wenn doch ihr Vater sie auf diese Weise geliebt hätte! Liebte Gott sie wirklich – nach dem, was sie getan hatte?
    »Ja, das tut er«, sagte Mr Tugwell, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
    Sie lächelte schwach, gerührt und gleichzeitig unsicher. Bei ihm klang es so einfach. Konnte es das wirklich sein? Sie hob den Kopf und merkte, dass er sie verlegen musterte.
    »Jetzt brauchen Sie den Gottesdienst diese Woche nicht mehr zu besuchen, nachdem Sie sich bereits eine Predigt von mir angehört haben! Bitte verzeihen Sie mir, Miss Keene.«
    Sie schaute zu Boden. »Es gibt nichts zu vergeben.«
    Er wandte seine Aufmerksamkeit ihrem Korb zu. »Darf ich fragen, was Sie dabei haben? Kann ich es wagen, auf ein Stück von Mrs Moores Kümmelkuchen zu hoffen?«
    »Ich fürchte, nein, Sir. Ich habe nur Käse und Handschuhe für die Armen dabei.«
    Er stieß den Atem aus und schüttelte sich. »Sie werden mir gut tun, Miss Keene. Ich bin schon ganz verwöhnt von den Witwen, die mich mit Kuchen und Süßigkeiten versorgen. Wir werden unsere Energie darauf verwenden, die Not der Armen zu lindern und nicht unsere menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, in Ordnung?«
    Sie fand seine letzte Aussage etwas befremdlich. Als sie den Blick hob, schaute er weg. Eine knabenhafte Röte breitete sich auf seinem Gesicht aus, als sei ihm gerade erst bewusst geworden, was er da gesagt hatte.
    Im Haus traf Olivia auf Miss Ludlow. Sie saß auf dem abgewetzten Sofa im Empfangszimmer des Armenhauses, umgeben von meterweise Stoff.
    »Woran arbeiten wir heute?«, fragte Olivia.
    »An neuen Vorhängen für das Fenster im Salon. Die alten sehen inzwischen sehr schäbig aus. Was halten Sie von diesem gerippten Musselin?«
    »Er ist sehr hübsch. Viel heller und fröhlicher als die jetzigen Gardinen.«
    Eliza lächelte, was ihre Grübchen zum Vorschein brachte. »Ich hatte gehofft, dass Ihnen der Stoff gefallen würde.«
    Olivia half Miss Ludlow, die staubigen alten Gardinen abzuhängen und von ihnen den Schnitt für die neuen abzunehmen. Miss Ludlow meinte, sie würde die Näharbeit lieber zu Hause erledigen und wiederholte ihre Einladung zum Tee.
    Mr Tugwell verabschiedete sich gerade von einer älteren Bewohnerin, als die beiden Frauen aufbrechen wollten. Aus Höflichkeit schlug Miss Ludlow vor, der Pfarrer könne sich ihnen anschließen, und schien überrascht, als er die Einladung annahm. Olivia hoffte, dass sie selbst nicht der Grund dafür war.
    Kurze Zeit später saßen sie in Miss Ludlows Wohnzimmer zusammen.
    Charles Tugwell griff nach seiner Teetasse und fragte: »Wie kommen Sie als Gouvernante zurecht, Miss Keene?«
    »Gut, Sir, ich danke Ihnen. Ich vermisse das Unterrichten an einer Schule immer noch, aber es gibt viel Schönes in diesem Beruf.«
    »Gerade fällt es mir wieder ein – ich war neulich in der Schule in St. Aldwyns, um mich zu erkundigen, wie es den Miss Kirbys geht. Ich fragte auch in Ihrem

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